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Siebenter Abschnitt.
Ferne gerichtet dargestellt werden, auf bedeutende, weitschauende,
tiefgehende Gedanken hindeuten.
Sobald das Auge von der eben erwähnten Richtung abweicht, kann
sofort seine Mimik eine andere Bedeutung gewinnen. Es ist eine aus
der täglichen Erfahrung abgeleitete Regel, daß sich bei der Begeister-
ung oder bei der Hoffnung, z. B. auf himmlischen Lohn, der Blick
nach oben richtet, aber bei paralleler Stellung der Augenachsen.
Der gesenkte Blick, dem die oberen Lider folgen, wodurch weniger
Licht in das Innere des Auges dringt, steht zwar ebenfalls mit einem
nachdenkenden Geist in Verbindung, aber er steht in unwillkürlichem
Zusammenhang mit der Vorstellung der Entsagung von so manchem,
was teuer war. Auch die Verzweiflung starrt mit parallelen Sehachsen
vor sich hin, ebenso die Reue und die unbedingte Ergebung in das
unvermeidliche Schicksal.
Wenden sich die parallel gestellten Sehachsen zur Seite, entweder
etwas gesenkt, oder in der Horizontalebene gelegen, so entsteht der Blick
des Zweifels, der in der Ferne die Entscheidung sucht.
Der Nachdenkende richtet den Blick mit gehobenem oberen Augenlide, ohne
irgend eine Fixierung, in die Ferne oder nach oben; er will alle Zerstreuung meiden
dadurch, daß er, die Augen ins Leere oder Einförmige richtend, sich daran hindert,
irgend einen Gegenstand zu sehen, der etwa seine Aufmerksamkeit ablenken könnte.
Für alle diese Fälle ist das Gemeinsame das Vermeiden der Fixierung, sei es aus
Absicht oder aus Indolenz; es giebt aber noch eine Reihe von Arten des Blickes,
bei welchen das Fehlen der Fixierung ebenfalls charakteristisch ist, bei welchen
aber dieselbe nicht fehlt, weil sie vermieden wird, sondern weil sie nicht zustande
kommen kann, wie bei dem "starren Blick" der Hoiihungslosigkeit und des
Schmerzes. Bei der Hoffnungslosigkeit, in welcher alle Energie schwindet, hat der
Blick den Charakter der schlaffen Ruhe und nähert sich auch in der häufig damit
verbundenen Senkung des oberen Augenlids dem schläfrigen Blick. Bei dem Schmerz,
der Angst, der Verzweiflung aber, welche ja alle mit heftiger Aufregung verbunden
sind, hat die Starrheit des Blickes den Charakter einer krampfhaften Anstrengung
aller das Auge bewegenden Muskeln. Bei hohen Graden dieser Affekte erscheint das
Auge deshalb mit weit geöffneter Lidspalte festgestellt.
Die mittlere Stellung oder die mäßige Konvergenz der Augen-
aohsen erfordert eine ganz bestimmte Thätigkeit der Augenmuskeln; die
Achsen schneiden sich in mäßiger Entfernung, beispielsweise von 6-10 m
(wie in den Figuren 152 und 153). Der Willensimpuls lenkt sie nach
dem bestimmten Punkt, der „ins Auge gefaßt" ruhig und fest fixiert wird;
das volle Interesse konzentriert sich für den fixierten Gegenstand. Sind
wir selbst dieser Gegenstand, so werden wir von dem Blick gefesselt,
angezogen, gleichviel, ob er mit Ernst, Teilnahme oder mit Liebe auf
uns ruht. Die Empfindung, welche dieser Blick in uns weckt, ist zwar
verschieden nach dem Ausdruck, der in dem übrigen Gesicht der herr-
schende ist, aber die Grundbedingung für unsere persönliche Beziehung
zu dem Beschauenden liegt zunächst darin, daß die Augenachsen uns