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Siebenter Abschnitt.
Organ, das sie zu bewegen haben, klein, denn die Last des Augapfels
bedarf zu ihrer Bewegung keiner ansehnlichen Kräfte. So finden denn
die sieben Muskeln neben dem Fett, den Gefäßen und Nerven im Innern
der Augenhöhle reichlichen Platz.
Fünf dieser den Augapfel bewegenden Muskeln entspringen im Hinter-
grund der Augenhöhle rings um die Eintrittsöffnung des Sehnerven. Vier
verlaufen geradlinig, indem sie von ihrem Ursprungspunkt aus divergieren,
und direkt nach vier verschiedenen Punkten des Augapfels hinstreben,
welche oben, unten, innen und außen liegen. Sie heißen die ge-
raden Augenmuskeln (Mm. recti). Sie setzen sich an vier gegenüber-
liegenden Punkten der vorderen Augenhalfte an. Um dorthin zu ge-
langen, überschreiten sie den Äquator der Kugel (Fig. 145) und befestigen
sich mit verbreiterten Sehnen in der derben Selera, nur 6-8 mm vom
Hornhautrand entfernt. Laßt man bei weitgeöffnetem Lid das Auge stark
nach außen drehen, so wird die Sehne des inneren geraden Augenmuskels
bei durchsichtiger Bindehaut erkennbar.
Nach dem Ansatzpunkt werden diese vier Muskeln durch folgende Namen unter-
schieden:
1) Oberer gerader Augenmuskel, (Rectus superior, Fig. 145 Nr. 5),
2) Unterer „ „ „ inferior, Fig. 145 Nr. 10),
3) Innerer „ „ „ vlnternus),
4) Außerer „ „ „ externus).
Zu diesen vier geraden Augenmuskeln kommen noch zwei andere, die man wegen
ihres Verlaufes die schiefen Augenmuskeln nennt. Der eine vom Umfang des
Sehnervenloches herkommende Muskel ist der obere schiefe Augenmuskel (Ob-
liquus ovuli superior). Seine Wirkung beruht in einer Drehung des Augapfels nach
außen und oben. Der zweite schiefe Muskel des Augapfels entspringt nicht in der
Tiefe der Augenhöhle, sondern vorn in der Nähe des Einganges nach der Nase zu,
und begiebt sich an die äußere Seite der hinteren Augapfelhälfte; er erscheint in der
Figur 145 unter Nr. 9 durchschnitten. Auch er fuhrt, wie sein Vorgänger eine Drehung
des Augapfels aus, aber nach der entgegengesetzten Richtung.
Die Übung hat uns sehr bald gelehrt, jeden einzelnen dieser Muskeln
für sich spielen zu lassen. Ohne Ahnung von ihrer Existenz, gebrauchen
wir sie und beherrschen ihre Wirkungen mit einer erstaunlichen Sicher-
heit. Die Augenbewegungen beteiligen sich an dem mimischen Ausdrucke
des Gesichtes in so hervorragender Weise, daß sie allein schon mehr von
den inneren Bewegungen der Seele verraten können als das ganze übrige
Gesicht. So lebhaft ist ihre mimische Thatigkeit, daß sie selbst bei ge-
suchter Ruhe des Gesichtes die Seelenregungen offenbaren.
Die Bewegungen des Auges werden zu einer Sprache, oft lebhafter und beredter
als alle Worte. Sie kann härter, schroffer und bestimmter sein, als alle gesprochene
Rede, aber auch mit einer so ergreifenden Weichheit sich zu uns wenden, daß wir
uns im Innersten erregt Fühlen. Die Demut und Unterwürfigkeit schlägt die Augen
nieder. Deshalb nannte CASSERIUS den unteren geraden Augenmuskel den Demuts-
muskel (Museums hunzilis), weil kein armer Teufel hoffalrtig dreinschaut. Der äußere
gerade Augenmuskel wurde auch der Muskel der Verliebten, Musculus amatorius, ge-