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Sechster Abschnitt.
oder nur eine einzige. Die angestrengte Thatigkeit eines Muskels zur
Überwindung eines großen Widerstandes ruft häufig eine ganze Reihe
von Zusammenziehungen anderer Muskeln hervor, welche darauf gerichtet
sind, dem erstbewegten einen hinlänglich sicheren Ursprungspunkt zu ge-
währen. Man nennt diese Bewegungen koordiniert. Es ist am nackten
Menschen leicht zu beobachten, wie alle Muskeln, welche am Schulter-
blatte sich festsetzen, eine kraftvolle Zusammenziehung ausführen, um
das Schulterblatt an den Rumpf zu fixieren, sobald der Biceps des Ober-
armes sich anschickt, ein großes Gewicht durch Beugen des Vorderarmes
aufzuheben. Würden die Schultermuskeln in diesem Falle unthatig
bleiben, so Würde der Biceps das nicht fixierte Schulterblatt, an welchem
er entspringt, viel eher herab bewegen, als das schwer zu hebende Ge-
wicht hinauf. Um aber den Schultermuskeln selbst feste Haltpunkte zu
geben, erfolgt zuerst eine tiefe Einatmung, weil die gefüllte Lunge einen
Gegendruck ausübt auf den Brustkorb, von welchem diese starken Mus-
keln ihrerseits entspringen.
Die
Faseie.
Fascien oder Muskelbinden heißen dünne, hautähnliche Aus-
breitungen, welche das ganze Muskelsystem einhüllen. Die Fasoien sind
aus glänzenden Fasern und Bündeln desselben Materiales gewebt, das die
Sehnen und Aponeurosen herstellt. Die Formen der darunterliegenden
Muskeln sind durch diese Binden hindurch mit großer Schärfe erkennbar.
Das Interesse der plastischen Anatomie beschränkt sich dabei vorzugs-
weise auf die Muskelbinden an den Gliedern, weil sie dort bestimmte
Formen bedingen.
Die Fascien werden nach dem Ort ihres Vorkommens benannt.
Man unterscheidet: Fascien des Halses, der Brust, des Bauches und
des Rückens; dann Fascien des Armes und Fascien des Beines.
Die Fascien der Gliedmaßen gliedern sich endlich in solche des Ober-
armes, des Vorderarmes und der Hand. In ähnlicher Weise wird
die Fascie der unteren Gliedmaßen in diejenige des Oberschenkels,
des Unterschenkels und des Fußes abgeteilt. Es giebt endlich hoch-
und tiefliegende Fascien. Als lehrreiches Beispiel sei hier zunächst die
Fascie des Armes beschrieben.
Wird an einem Arm die Hau-t samt der Fettschicht vorsichtig ent-
fernt, so kommt nicht unmittelbar das rote Fleisch oder die glänzende
Sehne zum Vorschein, sondern eine durchsichtige, an einigen Stellen 1 mm
dicke Schicht, welche den darunterliegenden Organen fest anliegt und die
Fascie oder Muskelbinde genannt wird. Man könnte sie mit einem
enganliegenden Trikot vergleichen, und würde manche Eigenschaften
wieder finden, welche sie mit ihm gemein hat, vor allem den außerordent-