226
Sechster Abschnitt.
wirkung gemeinschaftlich haben. Zwei Beispiele dieser Art mögen
hier Platz finden.
An erster Stelle sei die Gruppe der Unterschenkelstrecker aufgeführt,
die sich zunächst hierfür eignet, weil der gemeinsame Angriffspunkt
an dem Gelenk klar lokalisiert ist. Nahezu das ganze Fleisch des Ober-
schenkels besteht von vorn und von der äußeren Seite her aus vier
Muskelbäuchen, von welchen drei am Lebenden durch die Haut hindurch
erkennbar sind, nämlich der gerade Schenkelmuskel, der äußere
Schenkelmuskel, welcher die Hälfte des Oberschenkelknochens umgreift,
und der innere Schenkelmuskel (Fig. 98). Diese drei mächtigen
Muskeln (der vierte ist nicht sichtbar, weil er unter den eben-
genannten liegt)1 bilden zusammen eine Muskelgruppe, deren physio-
logische lebendige Thätigkeit sich auf einen und denselben Punkt
vereinigt. Aus ihnen kommt eine gemeinschaftliche Sehne hervor, welche
die Kniescheibe von vorn und den Seiten umfaßt und sich dann bis zu
dem Schienbeinstachel fortsetzt (Fig. 98 Nr. 1, 2 und 9). Es ist klar, daß
diese Muskelgruppe die Streckung des Unterschenkels vollzieht, und (laß
alle ihre einzelnen Teile Helfer für die Ausführung dieser einen Wir-
kung sind. In gleicher Weise sind alle Strecker des Fußes und der
Zehen an der vorderen Seite des Unterschenkels als Helfer oder Syner-
gisten aufzufassen.
Als zweites Beispiel für die Wirkungsart der Muskelgruppen mögen
solche Muskeln dienen, welche durch ihre Lage an einem Kugelgelenk,
z. B. dem Hüftgelenk, eine vielseitige Bewegung hervorbringen. Jene
Muskeln, welche die äußere Fläche des Hüftbeines bedecken (Fig. 119
Nr.3, 14, 15), werden durch ihren Ansatz an dem großen Rollhügel zu
Abziehern des Beines, wie bei dem Beinspreizen, während auf der ent-
gegengesetzten Seite (Fig. 119 Nr.4) die Zugkräfte liegen, welche wirk-
sam werden, wenn es sich darum handelt, die Oberschenkel sich zu
nähern. Die Synergie ist hier wie in allen Fällen bedingt durch die
gleiche Lage zu der Gelenkachse.
Die Angaben über die Wirkung der Muskeln sind nur ganz allge-
meinen Natur wegen der Schwierigkeit, die scheinbar einfachsten Probleme
der Gelenkmechanik und der Wirkung eines Muskels übersichtlich dar-
zustellen. Die Unterscheidung der Arbeit eines sich zusammenziehenden
Muskels in Hauptwirkung und Nebenwirkung ist ein Aushilfsmittel, um
anzudeuten, daß der mit einem bestimmten Namen benannte Muskel nicht
als mechanische Einheit betrachtet werden darf. Das gilt namentlich
von den großen Muskeln, welche sich nicht immer im Ganzen verkürzen,
1 Diese Gruppe kann auch als vollkommenes Beispiel eines vierköpfigen Muskels
gelten: vierfacher Ursprung von weitabliegenden Punkten, und dennoch gemein-
samer Ansatz.