Studium
Anatomie.
der plastischen
menschlichen Körpers zusammentragen. Für das Studium der Tiere
existieren heute dieselben günstigen Bedingungen, wie einst für den
Menschen bei den Griechen. Die griechischen Schulen für Künstler be-
fanden sich in den Gymnasien; da wurde unter der Aufsicht des Staates
die körperliche Erziehung der männlichen Jugend geleitet. Nackt er-
schien auf dem Spielplatz der junge Grieche zu den Leibesübungen, nackt
fanden sie sich zu den Wettspielen unter freiem Himmel ein. Die reife
Jugend, die an den olympischen Spielen teilnahm, war verpflichtet, sich
einer mehrmonatlichen Vorbereitung zu unterwerfen. Die körperlich
vollendetsten Menschen waren also unausgesetzt vor den Augen der
Künstler. Dort in den Gymnasien studierte man die Wendungen und
Stellungen an den blühend frischen Gestalten und an dem Abdrucke, den
die Ringer im Sande zurückgelassen hatten. Unter! solchen Umständen.
gelang es in Griechenland, die ganze Schönheit der menschlichen Gestalt
aufzufassen, und sie in höchster Vollendung den kommenden Jahrhunderten
zu staunender Bewunderungzu überliefern.
Die römischen und griechischen Künstler haben indes auch wohl anatomische
Studien an der Leiche angestellt. Bei dem Anblick der vollendeten Figuren eines
borghesischen Fechters, oder eines Laokoon und der pergamensischen Kunstwerke
kann man kaum daran zweifeln, obwohl, soviel ich weiß, keine direkten Angaben
darüber aufgefunden sind. Der schlagendste Beweis, daß sie das Skclet in all seinen
Teilen kannten, liegt darin, daß sie es dargestellt. Eine Zusammenstellung derjenigen
Werke, auf welchen Skelete vorkommen, enthält die Abhandlung von Lnssmo: Wie
die Alten den Tod abgebildet. Dort ist gleichzeitig mitgeteilt, daß sie nicht den Tod
damit meinten, sondern abgeschiedene Seelen böser Menschen, die sie als Larvae be-
zeichneten. Nemo tam puer est, sagt Samson, ut Oerbermvv. timeat, et tenebras, et
Larvarunz lzabitunz, nudis ossibzts cohaerentizwn. Es ist niemand so kindisch, daß er
den Cerberus fürchtet, und die toten Gespenster, „da nichts dann die leidigen Bein
aneinander bangen". Lamm hieß auch dasjenige Gerippe, welches bei feierlichen
Gastmälern mit auf der Tafel erschien, um zu einem desto eilfertigeren Genuß des
Lebens zu ermuntern. Die Darstellung von Gerippen zeigt unumstößlich, daß die
Alten Knochengerüste, nudzls ossibzos colzaereazs, sehr genau kannten, und der Schluß,
daß sie es zum Studium des menschlichen Körpers benutzten, ist also wohl kaum
zuriiekzuweisen.
HIPPOKRATES hat schon vor mehr als 2000 Jahren seinem Sohne THESSALUS die
Lehre gegeben, sich eifrigst mit dem Studium der Knochenlehre zu beschäftigen, und
hat dem Apollo zu Delphi ein bronzenes Skelet zum Geschenk gemacht. Dnnoxmr,
der zur Zeit des PHIDIAS lebte, hat man oft in Gräbern angetroffen.
HYRTL erwähnt die Abbildung einer alten Gemme, in welcher ein griechischer
Priester die Hand eines vor ihm stehenden Skeletes in jene der Hygiea legt, während
ein liiegender Genius über beide seine Fackel schwingt. XVahrlich ein schönes und
tiefes Symbol der innigsten Verbindung der Heilkunde mit der Osteologie.
Wer mit Hilfe eines Handbuches sich die Kenntnisse eines Skeletes
und der Muskeln erwerben will, soweit dies mit solchem Hilfsmittel über-
haupt möglich, der wird am schnellsten zum Ziel gelangen, wenn er die
Abbildungen nicht bloß betrachtet, sondern sie sofort nachzeichnet
und zu den wichtigsten Punkten die entsprechenden Namen hinzusetzt.