Studium
der plastischen Anatomie.
sonst bleibt der Worte Sinn unverstanden, und das Buch wie der Vor-
trag trotz erklärender Figuren von geringem Einfluß. Die Formen des
menschlichen Körpers aus Büchern allein lernen zu wollen, wäre ebenso
verkehrt, als wenn man die Tiere und Pflanzen nur nach Beschreibungen
und Photographien darstellen wollte. Die Kunstakademien sollten deshalb
im Besitz einer kleinen Sammlung sein, welche ganze Skelete, dann die
größeren Abteilungen desselben, wie Brustkorb, Schädel und Becken, ferner
die Knochen der Extremitäten in verschiedenen Arten der Zusammen-
stellung und in genügender Zahl enthält. Eine solche Sammlung sollteg.
in liberalster Weise jedem Schüler offen stehen. Die Technik in de
Anfertigung von Unterrichtsmaterial ist in hohem Grade entwickelt worden,
und hält mit den Anforderungen der vervollständigten Methoden gleichen
Schritt. Es fehlt auch nicht an guten Modellen für die Muskulatur des
menschlichen Körpers und diese sind selbst durch die besten Zeichnungen
nicht zu ersetzen. In anderen Gebieten des akademischen Unterrichts
ist der Wert derselben Methode längst anerkannt. Überall bestehen an
den Kunstschulen Antikensäle, in welchen nach Abgüssen Auge und Hand
geübt werden. Die "Vorlagen" sind mit Recht verlassen, und haben dem
Abguß und dem Modell Platz gemacht.
Für den Unterricht in der plastischen Anatomie ist dasselbe Ver-
fahren unerläßlich, soll die Kenntnis der Formen sich vertiefen. Vor-
lesungen allein genügen nicht. Die besten Vorträge haben nur den Wert
von Ferngläsern, welche uns den fremden Gegenstand in die Nähe rücken
und deutlicher erkennen lassen, aber sie machen das eigene Sehen nicht
überflüssig. Es sollte also nach dem Skelet gezeichnet werden und
auch nach anatomischen Modellen, welche naturgetreue Reproduktionen
von Muskelpartien des menschlichen Körpers darstellen. Die letzteren
sollten in doppelter Zahl aufgestellt sein, und zwar einmal_in der weißen
Farbe des Abgusses, damit keine falsche Lichtwirkung irre führe, dann
noch koloriert, um dasjenige, was als Muskel sich wesentlich verschieden
von der Sehne während der Ruhe und während der Bewegung verhält,
deutlich vor Augen zu führen. Weiße Abgüsse von Muskelpräparaten
sind schwieriger zu deuten als gefärbte. Denn an den ersteren ist nicht
immer gleich zu erkennen, wo der Muskel aufhört und die Sehne beginnt.
Dagegen ist an den kolorierten stets wahrnehmbar, wo Fleischmassen be-
ginnen oder aufhörenß Ohne solche Hilfsmittel werden z. B. die Formen"
des Rückens und des Unterleibes niemals klar werden, es sei denn, daß
der Schüler an der Leiche selbst Studien mache, was nicht an allen Orten
ausführbar ist. muß ferner diese anatomischen Zeichnungen
1 Die Kgl. bayer. Akademie der Künste in München hat eine solche doppelte
Reihe von Abgüssen aufstellen lassen. Sie fanden dort s. Z. eine doppelte Ver-
wendung, als Unterrichtsmaterial bei den Vorlesungen und gleichzeitig als Vorlagen
für das anatomische Zeichnen.