Einleitung.
Diese beiden Hauptabschnitte bilden den umfangreichsten Teil der
plastischen Anatomie. Dabei ist es unerläßlich, die toten Teile mit den
lebendigen zu vergleichen. Modellstudien am Lebenden sind für die Er-
klärung der äußeren Gestalt ebenso wichtig, wie die prüfende Forschung
an der Leiche. Denn es handelt sich in der Lehre von dem Bewegungs-
apparat des Organismus nicht bloß darum, das Einzelne in seiner Er-
scheinung zu erfassen, sondern die lebendige Form in ihrem reichen
Wechsel zu verstehen. Mit der Kenntnis des Bewegungsapparates jedoch
ist an sich das Gebiet der plastischen Anatomie nicht abgeschlossen. Im
Innern des Rumpfes, in den beiden großen Höhlen, der Brust- und Bauch-
höhle, befinden sich große und umfangreiche Organe, welche den Zwecken
des Lebens dienen. Eine Erörterung ihrer Formen und ihrer Bedeutung
ist notwendig, um den Einfluß auf die äußere Erscheinung des Körpers
zu verstehen. Weder die Brust, noch der Unterleib haben stets dieselbe
Gestalt. Ruhe und Bewegung prägen dem Rümpfe ebenso deutliche
Zeichen auf, wie den Gliedern. Die Anatomie des Thorax: sein Aussehen
irvährend der verschiedenen Phasen der Atmung, bei bedeutenden An-
strengungen, bei den die Seele tief erregenden Affekten, oder endlich bei
dem leblosen Körper wird erst verständlich, wenn die Thätigkeit der,
Lungen bekannt ist.
Ein besonderes Kapitel soll ferner der Haut gewidmet sein, welche
wie ein durchsichtiger Schleier den menschlichen Körper bedeckt. Der
Muskelzug erzeugt auf ihr Spannungen und Falten, sie läßt bald Gefäße,
Muskelzüge und Knochenkanten durchscheinen, oder verhüllt, je nach
Geschlecht und Alter, von den tieferliegenden Organen, was in anderen
Fällen klar zum Ausdruck kommt. Für alle diese Erörterungen bildet
der Körper des Mannes den Ausgangspunkt.
Vertraut mit dessen Formen soll dann in weiterer Folge der Körper
des Weibes geschildert werden. Daran schließt sich naturgemäß eine
kurze Betrachtung der körperlichen Eigenschaften des Kindes und die
Lehre von den Proportionen.
Die plastische Anatomie soll auch gegen die Verwilderung in der Darstellung
der menschlichen Gestalt ankämpfen. Der jetzt herrschende Realismus_ wird von
Vielen so verstanden, dass sie glauben, um so dankenswerteres zu leisten, je getreuer
sie ein Modell kopieren, alles, Schönes und Häßliches, wird nachgemacht, damit man
nur nicht "konventionell" werde. Es ist der Zweck der Abbildungen dieses Buches,
das Auge an anatomisch richtige Formen zu gewöhnen, die schon darum auch höheren
Ansprüchen genügen.
Studium
der
plastischen
Anatomie
In der darstellenden Kunst geht, wie in den beschreibenden Natur-
wissenschaften, alles Lernen und Begreifen mit der Beobachtung Hand in
Hand. Trotz aller Bücher muß man die Dinge leibhaftig vor sich sehen,