DER
WIEDER
PRADO.
seltene Sparsamkeit mit Licht und Farben, es ist der Triumph
des Formenadels. Es ist eine hohe Gestalt; das Gesicht
spricht von Enthaltung und Frieden. Die Augen sind tief
und durchdringend, und die fahle Blässe der mageren XVange
kennzeichnet den Mann des Klosters und der Kirche. Die
fein gebogene Nase verrät die adlige italienische Abstammung
und die leicht aufeinander gepressten Lippen den Mann der
Ueberlegung und Sanftmut. Dieses eine Porträt enthält mehr
Poesie als manches dort hängende Gemälde von Heiligen
und Engeln.
Diese Heiligen, Madonnen und Engel sind hier in Menge
vorhanden; die Titel, die mit wLa Virgem und die wjungfrau
Marias anfangen, sind unzählige. Wenn man nie daran ge-
dacht hätte, historische Figuren aus dem Christentum auf die
Leinwand zu bringen, dann glaube ich, dass in einem Museum,
wo unter andern Meisterwerken sich ein Gemälde befindet,
welches Maria vorstellt, die sich mit Thränen der Verzweiflung
in die Arme der sie umringenden Frauen wirft, und dahinter
hoch erhoben das Kreuz, an dem der edle Sohn, das Haupt
neigend, sterbend auf sie sieht, dass die Rührung eines solchen
Schauspiels die ganze Umgebung vernichten würde. Aber wenn
sich dieses schöne Motiv hundert und aber hundert Male
wiederholt, wenn es gleichsam als Aushängeschild religiöser
Orte benutzt wird, wenn man, wie hier, Säle und Säle voll
solcher mehr oder weniger guten Gemälde sieht, dann muss
man seine ganze Kunstgerechtigkeit auf bieten, um ihnen noch
ferner seine Andacht zuwenden zu können; und so gingen
wir denn an einer grossen Menge kostbarer Malereien vorbei
und erkannten deutlich, dass auch dies dazu beitrug, den grossen
Sieg Velasquef zu fördern, da seine religiösen Darstellungen
hier mehr in der Minderzahl vorhanden waren. NVir begrüssten
den Meister dieser glücklichen Gaben wieder und wieder und
gingen dann durch den sonnigen Park nach Hause.