Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

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DAS 
KUNSTGEWERBE. 
 
sie auch wohl zu überbieten, wie wir z.B. von einem VViener Tapezierer ein volls 
ständiges äigyptisches B0udoir ausgestellt sehen, d. h. wie es sich eben ein VViener 
Tapezierer denkt. Sehen wir von der Grille ab, so ist es übrigens nicht ohne 
Reiz, und eine Dame mit einem ägyptischen Prof1l findet sich ja wohl auch das 
für. Im Allgemeinen aber ist es gewiss überraschend, wie sehr das deutsche und 
österreichische M0biliar, die willkürlichen, naturwidrigen Formen des Rococo 
verlassend, sich einfacher, gesetzmässger Structur zuwendet und damit von allen 
Seiten sich der Renaisfance nähert, wenn auch bei weitem nicht alles Renaissance 
ist, was wir sehen. 
Nun wissen wir freilich, dass es in WVirkljchkeit noch vielfach anders ist, und 
dass die Schablone für das gute Biirgerhaus noch lange nicht der Renaisfance 
angehört, aber wie oft, so ist es auch hier: die Ausstellung, den werdenden und 
wachsenden Geschmack aufgreisend, giebt die Hoffnung und die Richtung der 
Zukunft. In dieser Auffassung, soviel Tadel das Einzelne bietet, können wir das 
deutsche wie das österreichische Mobiliar nur als eine Wendung zum Guten bei 
zeichnen, und das um so mehr, als diese Wendung unabhängig vom französischen 
Geschmack ist, ja sich diesem entgegenstellt. 
In Deutschland giebt es verschiedene Hauptorte der Tischlerei, wie Mainz, 
Karlsruhe, Breslau, Dresden, Berlin, und darin Unternehmungen und Gefells 
schaften, welche die Renaissance ausdrücklich auf ihre Fahne geschrieben und in 
diesem Stil sich bereits ein Gebiet des Absatzes erworben haben. Sie haben 
reich und gut ausgestellt, wenn auch das schlechte Arrangement, wie es die ganze 
deutsche Ausstellung kennzeichnet, ihrer YVirkung Eintrag thut. Was wir aber 
allgemein an dieser Fabricati0n auszusetzen haben, das ist eine gewisse structive 
Trockenheit und Nüchternheit, zum Theil auch zu grosse Magerkeit der Formen 
und Mangel an ornamentaler und insbesondere Hgürlicher Plastik, welche solchen 
Arbeiten erst Reiz und Leben giebt. Dieser Vorwurf würde freilich in der Haupts 
suche hinwegfallen, wenn diese Möbel, was aber nicht der Fall ist, für das bürs 
gerliche Haus bestimmt waren. sie erheben höhere Ansprüche, und müssen sich 
damit hinter die italienischen Arbeiten stellen.  
Entschieden günstigen Eindruck machen ebenso die deutschen Tapeten, z. B. 
von Hochstätt er in Darmstadt, wie auch die österreichischen von Lucius und 
andere. Wenn wir damit die zahlreichen Zeichnungen vergleichen, welche Pros 
fcssor Fi schbach in Hanau ausgestellt hat, so erkennen wir die gemeinsame Quelle 
dieser Wanddecorationen, denn so muss man sagen, und kaum noch Tapeten. 
Der Fortschritt, der hier mit den Tapeten gemacht ist, besteht eben darin, dass 
die WVand als ein Ganzes für eine systematisch gegliederte Decorati0n aufgefasst 
worden und die schablonenhafte Tapete mit breiteren und schmäleren Bändern 
und Bordüren, mit Sockel und Fries dafür eingerichtet wurde, ohne den billigen 
Preis der gewöhnlichen Tapetenbekleidung wesentlich zu verändern. Das ers 
scheint hier gelungen, und wir können nur wünschen, dass solche Decorationen 
nicht blos Ausstel1ungsobjecte bleiben, sondern zur VekfChkznekung des BÜkgek. 
hauses allgemein werden. 
Das gilt nun freilich in keiner Weise von den gewebten Möbelstoffen Deutsch. 
1ands, die zwar auch langsam zur stilis1rung hinneigen, aber einerseits bei weitem 
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