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KUNsTGEWERBE.
wenn wir zwischen diesen sich kreuzenden B1umenranken, Pflanzen und Bäumen
hindurch in Gletscherlandschaften hineinsehen, in die unser Fuss hineintreten soll.
Wir hätten solche Absurditäten, wie sie die Fabriken Von Nimes als ihre Prachts
sIücke ausstehen, nicht mehr erwartet. Es scheint aber fast, als ob dieser schon
verschol1ene Geschmack noch einmal wiederkehren will. Die Farben, haben wir
gesagt, sind gemässigt gegen früher, aber immer noch so lebhaft, dass ganz wider
alle Ordnung in einem französischen Salon die grösste Farbenpracht oder sagen
wir Farbenunruhe auf dem Boden liegt. Während jeder achte Kunststil aus dem
Boden für das Auge die Ruhe sucht und sich nach oben hin mit feiner Decoras
ti0n reicher und reicher entfaltet, ist es bei dem französischen Salon umgekehrt:
oben amsPlasond farbloser weisser und grauer Stück, unten blühende Farbens
pracht und an den Wänden die neutralen Zwischentöne. Dem ganz entsprechend
legen die grossen französischen Teppiche, welche den ganzen Salon in einem
Stück bedecken und dieses Stück mit einer einzigen reichen Compos1tion vers
zieren wollen, den Plasondigeradezu auf den Fussboden. sie imitiren den reichst
componirten Plasond mit feinen StuckreliefS, mit architektonischen Ornamenten,
mit Medaillons und Figuren, übersetzen ihn in Farbe, zeichnen ihn im Relief mit
IsIinzufügung von Licht und Schatten und kehren so buchstäb1ich das Oberste zu
untersk. In dieser grundverkehrten Art ist das Prachtstück der französischen Teps
pichwirkerei von Braquenie sreres.
Es wird nicht nöthig fein, das achtzehnte Jahrhundert noch weiter in der
heutigen französischen Wohnung, soweit sie wenigstens auf künstlerische Decoratio11
Anspruch macht, nachzuweisen; wir haben vielmehr einer aufsal1enden Erscheinung
daneben zu gedenken, welche ihr zu widersprechen scheint und auch widerspricht.
Der heutige Franzose lebt, was die Kunst betrifft, im achtzehnten Jahrhundert,
er schläft auch darin, aber er speiset im fechszel1nten. Das ist die Regel, dass,
während Salon und Schlafzimmer im IStil LouiS XV. und XVI. gehalten sind, das
Speisezimmer im Stil der Renaissance eingerichtet ist, und dieses führt zur Erkläs
rung vieler Gegenstände in der französischen Aussiellung. Das charakteristische
Beispiel. dafür giebt uns das schon erwähnte französ1sche Commissionshaus. Hier
haben wir auf der einen Seite den blumigen, 1ichtgrauen Salon mit seinen vorne
ausgeschweiften Gobelinsmöbeln, auf der andern Seite das dunkle ernste Speises
zimmer mit sehr schöner Goldtapete im Renaissancesiil, mit strengen skilvollen
Ebenholzmöbeln und mit wirklich ansprechender, anheimelnder und doch eleganter
Haltung, wobei nur der Plafond mit seiner verzopften Malerei, seinem Gewölbe
und seinem blauen Himmel, in dem sich der grosse Luskre höchst komisch verliert,
einen gar sonderbaren Missklang bringt. Zuweilen begnügt sich der Franzofe
auch nicht mit Roc0co und Renaissance, sondern er raucht feine Cigarre und
nimmt seinen case im Orient und badet in Pompeji, im Griechenthum. Wir
kennen ein vornehmes, von einem französischen Decorateur eingerichtetes Haus
in Wien, worin man die ganze Kunst: und Culturgeschichte an einem Tage durchs
leben kann.
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Diefe NebenPce1lung. der Renaiffance hat vorzugsweife zuk Ausbildung der
franzöf1fchen Ebeniskerei geführt. Die Parifer Credenzen, die Bücl1erkaPcen und
f0nPcigen Möbel von Ebenholz und Eichenh0lz oder Ebenho1zsImitation mit ges
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