Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

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VERV1ELFÄLTlGENDEN 
KUNsT1i:. 
lIeutsohes 
Reich. 
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 Im Gegensatz zu den Franzosen, welche sich insbesondere 
 durch die Ansstellungen ihrer Radirer hervorthaten, lag das 
 Schwergewicht in der deutsclien Abtheilung auf einigen grossen 
 Grabstichelblättern. Und zwar waren es einige Stiche nach Rasael, 
 welche mit den höchsten Ansprüchen aus m0numentale Geltung 
7:Yi austraten und daher vor Allem unsere Beachtung auf sich ziehen. 
Manschetteiikriopf,     
 Man spricht in Deutschland viel und gern von der :igrossen 
EsP11HEP11ETOPUHSs historischen Kunsto. Man steht zu ihr gewissermassen in einem 
platonischen Verhältnisse; man kann sie zwar nicht fasse11 und erreichen, man würde 
sich aber schämen, einzugestehen, dass man fein Ziel minder hoch gesteckt habe, 
als es die nun einmal theoretisch und ästhetisch festgestellte Ausgabe der ccgrossen 
Kunst:1 verlangt. Leider lässt sich nur die grosse Kunst nicht auf demselben Wege 
machen, auf welchem die ganz inhaltslose und theoretische schwärmerei des Publis 
cums gemacht wird. Der Künstler, welcher sich dadurch täuschen lässt und nur das 
Unmögliche für strebenswerth hält, ist mehr zu beklagen als anzuklagen. Indess 
er vornehmlich für feine Unsterblichkeit Zu arbeiten vermeint, huldigt er leiclit 
einem vorübergehenden Zeitgeschmacke, der auf keine tieferen Bedürfnisse und 
Ueberzeugungen begründet ist. 
Unter solchen Umständen ist es ein Glück, wenn die reproducirende Kunst 
sich den anerkannten Meisterwerken der Vergangenheit zuwendet. Hier allein 
steht sie auf ganz ficherem Boden. Die Ansprüche, welche .die grossen Meister des 
XV. bis XVII. Jahrhunderts an unsere Bewunderung stellen, sind unverjährbar. 
Ihren Werken kann der Kupferstecl1er getrost den Aufwand von Zeit und Mühe 
widmen, den heutzutage seine Technik kostet. Freilich sind aber auch die Ans 
sorderungen, welche sie an den Stecher stellen, ungemein viel höher als die eines 
modernen Vorbildes; denn einmal ist die class1sche Sprache der alten Meister uns 
ursprünglich fremd und ihr Verständniss schwierig; sodann aber haben sich bereits 
zahlreiche hochbegabte Stecher in ihrer Interpretation versucht, ja bewährt, und 
das Ergebniss des modernen. Künstlers fordert somit zu den gesährlichsten Vers 
gleichungen mit den ihrigen heraus. Dies wird um so mehr der Fall fein, wenn 
sich ein Zeitgenosse an die Wiedergabe von Gemälden wagt, von denen bereits 
grosse, bisher für mustergiltig angesehene Kupferstiche existiren.  
Zwei solche Beispiele lieferte uns nun gerade die deutsche Abtheilung auf der 
lxVeltausste1lung. Es sind natürlich Stiche nach Rafael; denn es ist seit lange 
schon eine kupferstecherische Zunftregel, nur Rafael und immer wieder Rafael zu 
stechen, und es spricht gewiss für die Dauerl1aftigkeit seines Credits, dass es bisher 
nicht gelang, ihn todtzustechen. Im Gegentheile erregte Eduard Mandells Stich 
nach der Maclonna della Seggiola Aufsehen, nachdem das Bild bereits einige 
vierzigmal gestochen war. Und so wenig Rafael7s Werke in dem ungemessenen 
Vorrathe gleichzeitiger Meisterwerke vereinsamt dastehen, so hat doch der mos 
derne Grabstichel ihm mehr gehuldigt als allen andern classischen Künstlern zus
	        
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