Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

 
DEUTScHLAND, 
OESTERRElCH 
UND 
UNGARN. 
Deutschland, 
0esterreioh 
Ungarn. 
Wenn auch die grossen hist0rischen, religiösen, mythologischen und alleg0kj. 
schen Gemälde der französischen Abtheilungdurchschnittlicli nicht das waren,was hier 
den Beschauer vorzugsweise anzog, wenn auch C aba i1el, T ony Rob erts F l eury, 
Ulmann, Antigna, Sirouy, Barrias iiicht ii1 den1 Masse wie Meis.s0. 
nier, Breton, Mlle. Jacquemart, Gaillard, Daubigny uns reine kiinsts 
lerische Befriedigung gewährten, so hatten ihre Arbeiten doch nach einer andern 
Seite hiii ernste Bedeutung. Sie legten für die Art, wie die französischen Maler 
studiren, Zeugniss ab. Bilder solchen Charakters und so grossen F0rmats kamen 
in grösserer Anzahl nur in der französischen Abtheilung vor. Sie sind ein Beweis 
für die ernsten Bestrebungen der Künstler, zu einer möglichst gediegenen Bes 
herrschung der Form, zu möglichst sicherer Haltung bei becleutenderen Dimeiis 
sionen zu kommen. Dass solches Streben feinen Werth hat, lernt man ans besten 
da erkennen, wo es fehlt, wie in der deutschen Kunst. Unsere Maler schaffen 
ihre Landschaften, ihre Genrebilder sfür den Markt, selteii wagen sie sich an solche 
Ausgaben, die einen grösseren Aufwand von Kraft und Mitteln verlangen. sie 
sind auch nicht in der Lage, dies thun zu können, Niemand würde es ihnen danken 
und ihre Arbeit bezahlen. Anders sieht es in Frankreich, wo in solchen Fällen 
der Staat eintritt, das Streben zu belohnen. Wenn irgend etwas den französischen 
Bildersalen jenen bereits früher hervorgehobenen Charakter einer grösseren Ruhe 
und Harmonie gegenüber dem wirren, bunten Durcheinander der deutschen Säle 
gab und es mit sich brachte, dass man dort in einem Museum, hier aber nur in 
einem Kunskbazar zu sein glaubte, so ist es eben nicht sowohl die grössere lcünsis 
lerische Begabung der Franzosen überhaupt, als die durchaus andere Stellung 
der französischen Kunst im Staate und im öffentlichen Leben. 
Vor Allem müssen wir uns davor hüten, nach hergebrachten Vorstellungen 
uns etwas auf unsere eigene Gründlichkeit undsGediegenheit gegenüber den 
leichtfertigen und flüchtigen Franzosen zu Gute zu thun. Gerade umgekehrt vers 
hält sich die Sache. Der lxVettstreit, der in der Kunsthalle der Weltauss 
Heilung ausgefochten wurde, führte nicht so sehr das Talent als vielmehr die Ge. 
diegenheit der Ausbildung. und der Arbeit als cntfcheidende Mächte in das 
Treffen, und gerade in dieser Beziehung sind uns die Franzosen um vieles 
voraus. 
Die echte Bildung des FormenlinnS fehlt nicht nur unfern Ha11dwerkern, 
unferm gr0fsen Publicum, He mange1t bei uns gewöhnlich auch den Künfi1em. 
Es ist ein  Unglück für die Entwicklung der modernen deutfchen 
Malerei, dafs diejenigen MeiPcer, die einen gr0fsen und eigenthiimlichen F0rmens 
f1nn befassen, einen viel origine1leren und genialeren als irgend ein FkgHz0f,3z 
Cornelius und die meifien übrigen Künstler der idealen Richtung, niemals Zur 
vollen Ausbildung diefes F0.rmenlinns kamen, über dem Wurf der Erfindung die 
f01ide Durchführung und das Studium der Natur verfEiun1ten, in der Farbe nicht 
die Zeichnung, in der M0dellirung nicht den Urnrifs, im Cart0n nicht die SkizZe 
erreichten und unfähig waren, bei gr6fserem Mafslkabe die GePcalten mit wahrem 
 
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