Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

LYs.HUH. 
DAS 
KUNSTGEWERBE. 
1ischen Kunskarbeit haben in jedem Falle das Resultat gehabt, dass sich England, 
sonst der letzte, jetzt unter die ersten Staaten auf diesem Gebiete gestellt hat, 
dass es selbst Frankreich in manchem Zweige erfolgreiche Concurrenz bietet, und 
dass sein eigener Geschmack in der That seitdem umgeschafsen ist. Wir haben 
das schon oben bei der Besprechung der modernen Wohnung in Bezug auf das 
M0biliar cons7catirt. 
J 
Eine andere Frage ist es aber, ob diese Veränderung des Geschmacks volls 
kommen den reformatorischen Tendenzen entspricht, mit welchen sie begonnen 
wurde, ob sie in Bezug auf Schönheit und Reinheit des Stils, in Bezug auf Ges 
fundheit der Ideen dasjenige gehalten hat, was man von ihr erwarten konnte. 
Und diese Frage müssen wir, so sehr wir den Aufschwung, die lebendige, strebs 
same Regsamkeit der englischen Kunstindustrie, die bisher dem C0ntinent ein 
Muster schien, auch anerkennen, doch zum überwiegenden Theil verneinen. Die 
englischen Kunstarbeiten, wie sie sich auf unserer Aus1tellung darstellten, machten 
den Eindruck, als fänden sie sich nicht, als bedürften sie der Führung und irrten 
ziellos umher, und grade das Gegentheil ist es, was man hätte erwarten dürfen. 
Man erkennt ein ausserordentliches und vielseitiges Geschick, was früher nicht 
vorhanden war, man erkennt das Streben, das Höchste zu leisten, man findet auch 
in zerstreuter Fülle viele vollkommen gelungene und bewundernswürdige Gegens 
stände, und doch ist der Gesammteindruck kein befriedigender, weil durch das 
Ganze ein Zug der Verwilderung geht. 
Allein die englischen Glasarbeiten waren es, welche in ihrer Art einen hars 
monischen und befriedigenden Eindruck machten. Die richtigen Wege waren 
eingeschlagen, die Formen ausgezeichnet, die Arbeit vollendet. Das englische 
Glas ist beschränkt in feiner Weise. Als bleihaltiges Krystallglas beruhen feine 
Eigenschaften in der klaren, wasserhellen Durchsichtigkeit, wie in der Kraft, das 
Licht in prismatische Farben Zu brechen. Jene Eigenschaft führt zu den feinen 
und zierlichen glatten Formen mit geätzten oder eingeschliffenen 0rnamenten, 
wofür uns die achten Krystallgefässe der Renaissance die reinsten und vollkoms 
mensten Muster aufgestellt haben. Dieses Genre wird denn auch Von der engs 
liscl1en Glasindustrie mit höchster Kunst gepflegt; die Ansstellungen von James 
Green, Daniell u. A. Cviele waren es nicht, die ausgestellt hattenJ zeigten zahls 
reiche bewundernswürdige Beispiele. Die andere Eigenschaft des englischen Glases, 
das Licht in die prismatifchen Farben zu zerlegen, leitet von selber zu einer 
krystallinischen oder diamantirten Behandlung der Oberfläche durch den Schlisf. 
Dieses Manier ist minder fein als die erstere, aber sie gewährt den decorativens 
Reiz, die Tafel mit farbigen Lichtern zu überstrahlen, Auch bei Lüftern bewährt 
sich diese Kraft auf das glänzendste. Der grossartige Kronleuchter von J am es Gr e e n 
strahlte weithin mit seinem farbigen Diamantlicht. seit dem vorigen Jahrhundert 
haben die Englander diese Manier ausgebeutet und He in neuerer Zeit förmlich 
Zum Prinzip gemacht. Aber die Gefässe litten früher unter der schwere und 
Plumpheit der Formen. Erst diesmal erkannte man auch hier mit Entschiedens 
heit das Bestreben nach edleren Cont0uren. 
Das Gesammturtheil, welches wir über die englische Kunstindustrie ausges 
sprochen haben, lässt sich wohl am klarsten durch die Kunstfaiencen begründen, 
I 
II
	        
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