II
DAS
KUNST GEWERBE.
die Tafchenuhren zu Haufe find, da bleibt der Schmuck nicht aus, denn die Uhr
bedarf zu ihrer Verzierung derselben Arbeit, und so war denn auch diefe Abtheis
lung der Schweizer Industrie nicht ohne Bedeutung. Nur Eigenthumlichkeit hatte
auch fie nicht. fondcrn zeigte ihren eigentlichen Character, auf aller. Welt Ges
schmack berechnet zu fein, darin, dass sie mit Etiquetten, welche die Bezeichs
nung als ägyptifcher, als ctruskifcher, als französischer, felbsi als amerikanifcher
Stil trugen, eben die Vielseitigkeit, die Mannigfaltigkeit und die Unsicherheit des
modernen Geschmacks documentirte.
Nur den Schweizer Holzfchnitzereien, die auch bereits Exportartikel find,
kann man, wenn man will, eine gewiffe EigenthLimlichkeit zusprechen, obwohl sie
kaum eine künstlerische zu nennen, da der Charakter diefer Gebirgsfchnitzereien
die jetzt durch Schulen unterstützt werden, eben der vollendet1Ie Naturalismus
ist. Man kann sich bei der geschickten und naturgetreiien Ausführung denfelben
noch gefallen lasfen, wenn der Gegenstand weiter keinen Zweck hat und eben
nur eine Thiergruppe, eine Gebirgsfcenerie oder dergleichen darstellt, in Vers
wendung aber an Mobeln, Rahmen, WVanduhren oder anderen Gegenständen kommt
er nur gar zu häutig, wie die Beifpicle der Ausstellung zeigten, mit einer vers
niinftigen Aeskhetik in ConHict. Am auffallcndsien liessen dies die Schwarzwalder
Uhren erkennen, welche in Imitation der Schweizer Schnitzereien dieselbe Art
zur Hauptdecoration gemacht haben und dabei auf die wundersamften Gedanken,
auf die seltsamsten WViderspriiche verfallen.
In der gleichen Lage wie die Schweiz befindet sich auch Belgien, ebenfalls
ein vorwiegend induflrielles Land, das mit feiner Kuns7tinduftrie weit über den
Bedarf und die engen Grenzen des kleinen Landes hinausreicht. Diefer Zufiand
ist in Belgien.nicht erst von neuerem Datum wie bei der Schweiz; wir kennen ja
die Niederlai1de in Kun1t wie in Kunstindustrie während früherer Jahrhunderte als
eines der leitenden Länder. Diese Stellung, die Flanderi1 und Brabant eine so
hervorragende Rolle in der Kun17cgefchichte zuertheilt, nimmt Belgien heute nicht
mehr ein; Fuhrerfchaft im Geschmack kann ihm in keiner WVeife zugesprochen
werden, kaum eine Eigenthumlichkeit, vielniehr fchliesst es sich nur zu eng an
Frankreich und die franzof1sche Mode an, auch liegt die Hauptbedeutung seiner
Industrie durchaus nicht auf der kunsklerischen Seite. Auf unserer Ausflellung
war sie noch ungünstiger vertreten, als sie es verdient, iind zeigte eigentlich nur
drei Zweige, die Spitzen, die Möbel und die kirchlichen Goldfchmiedarbeiten, und
davon traten nur die ersteren s:3ll1lgcklI1afsct1 auf.
Die Handspitzen Belgiens haben zwar heute Concurrenten genug erhalten,
aber fie sind in keiner WVeife die zweiten geworden. Ohne als Arbeit oder in
Schönheit den franZöfifchen nachzustehen, folgen fie doch ganz dem franzofifchen
Geschmack, der gegenwärtig die Spitzen naturalislisch mit leichten Blumen und
zierlichem Geranke Liberzieht. ln der Zeichnung sind die belgischen Spitzen von
den französischen nicht zu scheiden. Zwar hat man auch die Nachahmung der
alten Spitzen von Mecheln und Valenciennes wieder ausgenommen, aber grade
diejenigen, welche in der Verzierung die einfachsten und unbedeutendsten find. In
der kirchlichen Goldfchmiedekunsi stellt f1ch Belgien, wie einige vortreffliche Ars
xbeiten von A. Bourdon in Gent und J. Wilmotte in Lüttich, die in der Kunsls
U
II
O