Begriff,
Natur
und
constitutive
Elemente
Renaissance.
entweicht der grosse ideale Gedanke der italienischen Kunst; sie lebt nun
mehr und mehr dem Genuss, sie begibt sich unmittelbar auf den Weg zum
Barocco, der in den grossen Meistern, selbst in Raffael und Michelangelo,
sich von ferne ankündigt; sie zerreisst völlig das Band, welches die Früh-
und Hochrenaissance sowol mit dem kirchlichen Vorstellungskreise, der
Allegorik und Ikonographie des Mittelalters, wie mit dem Idealismus Dante's
zusammengehalten hatte. Der Sacco di Roma (1527) kann als der äussere ClemensVII.
Abschluss der hohen Renaissance bezeichnet werden. Mit dem Sieg der Medici disffoclfla_
über Florenz versinkt die Freiheit der Republik; in der Politik, der Litteratur
siegen allenthalben die materiellen Interessen über die geistigen: Michelangelo
schreibt mit grossen Zügen in seinem Weltgericht den Ausgang der ganzen
grossen Vita Nuova Italiens. Der Fluch, den sein Erlöser über eine Welt
von Verworfenheit herabschleudert, drückt den ganzen Grimm beim Anblick
dessen aus, was aus Italien geworden ist.
Die erste, fröhliche Empündung eines neuen nationalen Lebens war dahin.
Der Frühling, wie er in Danteis ,Vita N uova' eingeweiht werden, wie ihn Botti-
celli's ,Primavera' noch gefeiert, wie er mit einer Alles überwindenden Sieg-
haftigkeit in der Seele Raffaels ausgeboren war, er war verblüht und auf immer
dahin mit seinen Rosen und Blüten. Von der Renaissance blieb Italien nur was
das Wenigst Gute an ihr war, die sklavische Nachahmung der Antike und die
tyrannische Herrschaft einer Vorstellungswelt, die ihre Motive nicht mehr aus
dem Bewusstsein eines gläubigen Volkes, sondern aus der Mythologie der
Alten und der frivolen Dichtung der heidnischen Welt bezog. Paul IV konnte
gewisse theologische Auswüchse dieser Lage mit Gewaltmassregeln nieder-
werfen. Die tridentinische Gegenreform konnte den Klerus und seine Sitten
verbessern und hier und da den sittlichen Verirrungen der Künstler entgegen-
treten. Neues Leben einzuhauchen war sie nicht mehr im stande. Sie hat
auch nicht zu verhindern vermocht, dass die alten kirchlichen Traditionen in
der Architektur, in Bau und Einrichtung des Gotteshauses immer mehr auf-
gegeben wurden; so wenig wie sie verhinderte, dass Urban VIII die schönen
Hymnen der altchristlichen und mittelalterlichen Dichter aus dem Ofiicium
herauswarf, um sie, dem Geschmack der Zeit entsprechend, durch Gesänge zu
ersetzen, welche in horazische Metren gegossen waren und deren frostige, ge-
künstelte Empfindung den ungeheuren Abstand verrieth, der das 17. Jahrhundert
mit seiner Unnatur und Verkünstelung von der naiven, innigen Andacht der
alten Zeiten und dem Zauber einer echt christlichen Poesie schon trennte.
Aus diesen Facten lässt sich erst der richtige Gesichtswinkel gewinnen,
aus dem heraus die Frage der Kirchlichkeit dieser Spätrenaissance, des Barocco
und gar des Rococo beurteilt werden will.
Gewiss, kirchlich waren auch die Schöpfungen dieser Zeit, in dem Sinne,
dass sie unter den Augen und dem Schutz der kirchlichen Autoritäten entstanden
und der Geistesrichtung der damaligen gläubigen Welt entsprechen. Niemand
wird aber behaupten, dass in allen Epochen der Kirchengeschichte das kirchliche
Bewusstsein und Leben in gleicher Weise auf der Höhe christlicher Idealität
stand, in gleicher Weise von der Idee des Christenthums erfasst und dem Höch-
sten hingegeben war. Die Heroenzeit der Martyrerkirche ist uns nie mehr
wiedergekehrt und auch die Zeiten S. Francescds sind für immer dahingegangen.
Die Barockkirchen des 17. Jahrhunderts und die gewaltigen Schöpfungen
Rubens befriedigten das ,kirchliche' Element jener Zeiten, wie es scheint, voll-
kommen; an christlicher Empfindung stehen sie hinter den Domen der Gothik
Kraus, Geschichte der christl. Kunst. II. 2. Abtheilung. 6