Buch.
Einundzwanzigstes
herausführte. Man kann es eine providentielle Fügung nennen, dass diese
Erweiterung und Erhebung des Gesiehtskreises fast genau zusammenfallt mit
der Entdeckung der neuen Welt, und dass sie dem Protestantismus voransging.
Die Päpste der Renaissance unterliegen seit den Tagen Luthers einer
harten Beurteilung: bei den Theologen vorab, welche dies Papstthum nicht
auf der Höhe seiner religiösen und sittlichen Aufgabe finden. Man kann ihnen
nicht Unrecht geben; aber man darf nicht glauben, der Weltgeschichtlichen
Bedeutung des Renaissance-Papstthums gerecht zu werden, wenn man sich an
das Privatleben dieser Fürsten hält und die Scandalchroniken der Zeit mit der
Geschichte verwechselt. Leopold v. Ranke hat in seiner Weltgeschichte
die Bedeutung des Imperiums und der Cäsaren des ersten Jahrhunderts dar-
gestellt, ohne sozusagen ein Wort für den Klatsch übrig zu haben, mit dem
uns Suetonius beschenkt hat. Die Schwächen des Privatlebens kommen für
die geschichtliche Evolution bei so grossen Institutionen wenig oder gar nicht
in Betracht; wer den Blick von dieser Misere nicht erheben kann, wird die
geschichtliche Stellung des Renaissance-Papstthums so wenig verstehen als
der geniale sächsische Bauernsohn, der kopfschüttelnd und ergrimmt Rom
1511 verliess, um die Hälfte der Christenheit von dem Pontiiieate loszureissen.
Die grossen Porträtmaler der Renaissance haben es meisterhaft ver-
standen, die Menschen, welche ihr Pinsel zu schildern hatte, in den besten
und glücklichsten Momenten ihres Daseins zu erfassen. Von der historischen
Kunst ist ein Gleiches zu fordern. Wer den Anspruch auf Meisterschaft in
der Geschichtschreibung erheben will, hat über die Zufälligkeiten und Schwachen
der irdischen Erscheinungswelt hindurchzudringen, um den Funken des Geistes
zu erkennen und den idealen Gehalt wahrzunehmen, der in den besten Augen-
blicken einer Existenz der ausschlaggebende Factor gewesen ist. Auch die
Päpste der Renaissance haben das Recht, zu erwarten, dass der Historiker
nicht ungeschickter sei als der Maler. Auch sie wollen von ihrer besten und
glücklichsten Seite aufgefasst werden, und das war zweifellos das Mäcenaten-
thum in der Kunst, in welchem keine weltliche Dynastie etwas aufzuweisen
hat, was mit der Epoche zwischen 1450 und 1530 vergleichbar ist. Die
Grösse des Papstthums jener Zeit war, dass es die Führung der europäischen
Menschheit auf dem ästhetischen Gebiete übernommen und glorreich durch-
geführt hat.
Das Programm, welches Iulius II in der Camera della Segnatura der
Welt vorgestellt hatte, hatte Italien retten und dem katholischen Princip,
welches im Norden längst ins Wanken gerathen war, den Sieg erhalten
können; aber es kam zu spät. Die Verweltlichung des Klerus, das Ueber-
wuchern politischer und irdischer über die religiösen Gesichtspunkte, die un-
würdige Vertretung der höchsten geistlichen Autorität durch Männer wie
Alexander VI, die damit erzielte Verwirrung und Schädigung des öffentlichen
Gewissens alles das hatte die Corruption auf der einen, den Skepticismus
auf der andern Seite zu höchster Entfaltung geführt. In Italien gab es die
sittliche religiöse Macht nicht mehr, welche dem Strom des Verderbens ge-
bieten konnte.
Das leoninische Zeitalter zehrte von den grossen Erinnerungen der Tage
Iulius' II. Wir werden zuzusehen haben, ob der ,Augustns' des Papstthums
diesen Titel verdient, den ihm, energischer als früher, die Gegenwart ab-
streitet. Er sah den Hingang Lionardds und Raffaels, wie er denjenigen
Bramantes schon gesehen hatte. Unmittelbar nach dem Tode dieser Männer