Buch.
mdzwanzigstes
von den geiiüchteten Mediceern preisgegebenen Bibliothek Lorenz0's trugen,
müssen ihn und S. Marco vor dem Vorwurf des Obscurantismus schützen1.
Sein Widerspruch wendet sich gegen die lascive Litteratur der Alten wie
der Jungen; gegen die Verderbniss der zeitgenössischen Kanzelberedsamkeit,
welche sich nicht mehr auf die Heilige Schrift und die Vater, sondern auf
Cicero und Aristoteles, Seneca und Virgil stützt. Aber es lässt sich nicht
verkennen, dass der Eifer über diese Verweltlichung der Predigt, über das
Ueberwuchern der Antike an heiliger Stätte, über das Verlassen der grossen
Gedanken des Christenthums zu Gunsten einer Repristination des heidnischen
Gedankens und heidnischer Sitte den gewaltigen Reformer zu weit führte und
ihn das übersehen liess, was die Renaissance und der Humanismus doch der
menschlichen Cultur an bleibendem Gewinn zubrachte, und dass er in theolo-
gischem Uebereifer das Wesen der Renaissance verkannte, indem er die
Wiederbelebung des Alterthums im Gegensatz zum Christenthum als den Kern
derselben ansah. Für die Renaissance als die ,Vita Nu0va' des eigenen Volkes
hatte der Mönch von S. Marco kein Verständniss. Seine eigene, in Weh um
den Ruin der Kirche vertrauerte Jugend hatte ihm die Augen darüber nicht
zu öffnen vermocht, dass das frische Leben der Jugend doch das höchste Gut
einer Nation sei; er wollte sein Volk schon alt, um Früchte reifen zu sehen,
je eher, desto lieber. So sah er nicht, dass hinter den beklagenswerthen
Auswüchsen, welche die Bewegung mit sich gebracht, hinter den Extravaganzen
und Excessen der Enfants tewibles des Humanismus doch ein befruchtender
Keim lag, der in seiner ersten Entfaltung bereits höchster Genuss der Nation
geworden und bestimmt war, sich, in die richtigen Bahnen geleitet, zu Grossem
zu entwickeln. Indem Savonarola dies nicht sah, verlor er die Fühlung mit
dem Pulsschlag der Nation: des ästhetischen Gefühls zu sehr entrathend, um
sich über die Gegensätze hinaus zu heben und sich die innere Freiheit zu be-
wahren, überliess er in seinem Sturze Italien dem Zusammenstoss dieser
Contraste, der zu heftig war, als dass das conciliatorische Programm Iulius' II
der Geister auf die Dauer Herr zu werden vermochte.
Fassen wir, ehe wir uns mit diesem beschäftigen, in kurzen Worten das
zusammen, was über das innere Verhältniss der kirchlichen Kreise zu der
neuen künstlerischen Bewegung im 14. und 15. Jahrhundert zu sagen ist.
Heutige Be- Es stehen sich auch hier, in der Beurteilung der geschichtlichen Lage,
zwei Ansichten gegenüber. Lassen wir die älteren Verfechter derselben bei-
Müntz. seite, so sehen wir in Müntz und Gebhart die hauptsachlichsten Vertreter
Gebhart" der Meinung, dass von 1300 bis zu Paul IV und dem Concil von Trient ein
im ganzen vollkommener Accord zwischen der Kirche und dem italienischen
Volksgeiste bestanden und voller Friede beide Elemente verbunden habe.
Das Christenthum der Italiener, meint Gebhart, beruht weit mehr auf dem
Gefühl als auf dem Dogma; es lässt den Geist sehr frei, weil es sich weit
mehr an das Herz als an den Verstand wendet und darum den Operationen
des letztern grössern Spielraum gewährt ,Die Renaissance, fahrt Geb-
l Man vergleiche dazu SAvonnnoLys Ab-
handlung ,De divisione ac utilitate omnium
scientiarum' (Ven. 1534; vgl VILLARI Sav.
12110), Welche sich gegen den ihm gemach-
ten Vorwurf einer verächtlichen Schätzung
der Philosophie und Poesie wendet; dann
,Triumph. Crucis" an verschiedenen Stellen,
wo zugegeben wird, dass auch die heidni-
schen Gesetzgeber und Philosophen Wahres
und Gutes enthalten, was zu verwerthen ist.
Ueber das Verhältniss der antiken Philo-
sophie zum Christenthum verbreitet sieh
Savonarola daselbst eingehender (I c. 2. 12:
IV c. 2).