Begriff,
Natur
constitutive
Elemente
Renaissance.
bei dem Dornauszieher in Magdeburg, eine Nachbildung antiker Bildwerke
aus Enthusiasmus für das rein Technische anzunehmen sei. Wir kommen
auf diesen Punkt zurück. Eine solche Thatsache beweist indessen immer nur
für den einzelnen Fall; etwas anderes ist die Frage, wann sich die Welt der
Künstler dem vollen Verständniss des Alterthums im Sinne der humanistischen
Bewegung erschlossen, also in die geistige Bewegung der Zeit bewusst einge-
treten ist. Dieser Schritt ist fast zu gleicher Zeit von den drei grossen Künstlern
vollzogen worden, welche in der ersten Hälfte des Quattrocento in Florenz
Architektur und Sculptur auf eine ganz neue Basis stellten: Filippo
Brunellesco (1379-1446), Lorenzo Ghiberti (1378-1455) und Leone
Battista Alberti (1404-1472). Unter ihnen war gewiss Brunellesco der
bedeutendste schaffende Geist, ausgerüstet vor allem auch mit einer bis
dahin seit dem alexandrinischen Alterthum nicht mehr gesehenen Kenntniss
der angewandten Mathematik Euklid steigt jetzt aus der Vergessenheit
auch wieder empor aber auch vertraut mit Danteis Dichtung, gleich seinem
Rivalen bei der Bewerbung um die Ausführung der Domkuppel, Giovanni da
Prato, der zwischen 1417 und 1425 über Dante öffentliche Vorlesungen hielt.
Man sieht, wie diese Künstler die allgemeine Bildung beherrschten; sie waren
daher befähigt, dieser allgemeinen Bildung auch ganz neue Pfade in ihrer eigen-
sten Domäne zu erschliessen. Ghiberti war zugleich Schriftsteller und mit der
antiquarischen wie philosophischen Litteratur vertraut. In viel höherem Grade
gilt das von dem grossen Theoretiker der Renaissance, Alberti, dessen Schriften
ein tiefes Eindringen in den Geist und in die Gegenstände der humanistischen
Gelehrsamkeit zeigen. Eine weniger allgemeine Vertiefung in diesen Geist
wird man Ucello und Donatello nachrühmen dürfen, von denen der Erstere
vor Allen Euklid studirte, Letzterer der Perspective hingegeben war.
Janitschek hat gewiss Recht, vor allem Lionardo als einen Bewunderer
und Schüler der Alten zu nennen; vielleicht weniger, wenn er als Hauptvor-
Zug desselben rühmt, dass die Erde sein Reich blieb, dass selbst sein Abend-
mahl nur eine rein menschliche Tragödie ist und ihm also der religiöse En-
thusiasmus gänzlich abgegangen sei. Auch darauf ist seiner Zeit zurückzukommen.
Lionardo's Schriften sind eine fortlaufende Bezeugung seiner Beschäftigung
mit den Alten. Aber mehr als das: seine ganze Persönlichkeit ist mehr als
die irgend eines andern Menschen der Renaissance dem Typus des Uomo
universale nahe gekommen, welcher der Auffassung der Antike entspricht
und welchem, bewusst oder unbewusst, alle die grossen Erscheinungen des
Quattrocento instinctmassig nachgestrebt haben.
Von Lionardds Lebensumstanden wissen wir bekanntlich sehr wenig.
Aber es ist kaum anzunehmen, dass er mit Marsilio Ficino nicht in Beziehung
gestanden habe. Man weiss, dass der grosse Künstler die Ansicht hegte, ein
Künstler, dessen geistiger Horizont nicht über sein eigenes Werk hinausgehe,
der das Unglück habe, mit sich zufrieden zu sein, habe seinen Beruf verfehlt;
wogegen nur Derjenige Aussicht habe, ein tüchtiger Meister zu werden,
welcher niemals mit seiner Arbeit zufrieden ist. Diese Worte entsprechen
so sehr den Aeusserungen Ficino's, dass man versucht sein kann, die Meinung
des Künstlers mit der des Gelehrten in eine enge Verbindung zu setzen 1.
Lionardo
da Vinci.
ScnLossER Zur Gesch. d. Antike im Mittel-
alter, in seinem Aufsatze: Die ältesten Me-
daillen und die Antike (Jahrb. d. kunsthist.
Samml. d. Allerh. Kaiserhauses XIII 24). Wien
1897.
1 LIONARDO Tä-attato (lella Pittura, c. 273. Vgl.