Buch.
Einundzwa-nzigstes
Boccaccio.
Dante, bloss n1it einer dunkeln Ahnung in das gelobte Land der Antike hin-
überschaute, sondern der erste moderne Mensch ist, der ganz von der Ge-
dankenwelt des Alterthums erfüllt und beherrscht wird, und der zum erstenmal
den fast achthundert Jahre lang verschütteten und verlorenen ästhetischen
Erwerb der antiken Cultur wieder zu neuem Leben erweckt, zunächst für
sich. Die rhythmischen Formen und der melodische Klang des guten Latein
hatten ihn von Jugend auf gefangen genommen. Dem Reiz virgilischer Verse
konnte er nicht widerstehen. Der persönliche ästhetische Genuss, den er im
Umgang mit den Dichtern und Schriftstellern Roms fand und durch die er
selbst glaubte geworden zu sein, was er war, gab ihm den Vorwurf für sein
ganzes Leben. Es war die erste Existenz, welche voll und ganz der Wieder-
erweckung des Alterthums gewidmet war.
Und dieses Alterthum stieg nun wirklich aus seinem Grabe emporl: zu-
nächst freilich nur das römische. Von früher Jugend an sammelte Petrarca
Handschriften der alten Olassiker, vor allem Cicero's und Livius'. Unersättlich
in der Erwerbung einer kostbaren Privatbibliothek Jibris satiari negued
wusste er diesen Besitz für sich und seine Freunde in flüssiges Gold umzu-
setzen. In seinen Schriften gewinnt das Alterthum wieder Leben und actuale
Bedeutung. Mit unsagbarem Entzücken besucht er Rom zum erstenmal 1337.
Was er hier sieht, übertrifft all seine Erwartungen. ,R0m ist grösser, als
ich es zu finden glaubte; jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass die Welt
sich von dieser Stadt überwinden, sondern dass sie sich so spät erst von
ihr besiegen liessf Diesen Eindruck verstärkt jeder seiner folgenden Be-
suche. Vor allem ziehen ihn die Ruinen Roms an. Er beschreibt und feiert
sie in seinen Briefen wie in der ,Africa', beklagt ihren Verfall, zeigt sich
auf Erhaltung der Denkmäler bedacht und wendet auch schon den Inschriften
seine Aufmerksamkeit zu. Für Kaiser Karl IV sammelt er Münzen und stellt
aus ihnen und aus Büsten die Kaiserporträts zusammen. Ein erstes Er-
wachen historischer Kritik zeigt sich in der Art, wie er gewisse falsche
Urkunden verwirft. Die Beziehungen zu Boccaccio, welche seit dessen Reise
nach Pavia 1351 beginnen, erweisen sich für die humanistischen Studien als
hoch bedeutsam. Ihnen namentlich verdankt Petrarca die stärkere Aufnahme
der griechischen Studien, die er bereits 1339 mit ,Barlaam' begonnen, die ihn
aber freilich bei dem Mangel geeigneter Lehrer niemals so weit führten, dass
er Homer in der Ursprache geniessen konnte. Immerhin sind in und durch
Petrarca schon alle wesentlichen Züge vertreten, die der spätere Humanismus
ausgebildet, auch die Verehrung für Plato. Nimmt man sein Eintreten für die
phantastischen Träume eines Cola, für die in den gegebenen Verhältnissen aus-
sichtslose und nicht gerechtfertigte Freiheit Roms, seine übertriebene Abneigung
gegen die Seholastik hinzu, so hat man in ihm den Typus des Humanisten
nach seinen guten wie nach seinen schlechten Seiten. Sein ,Pace non tmwf
ist das Schibboleth der gesammten von ihm ausgehenden Bewegung: es
wäre ungerecht zu sagen: in ihrer Gottverlassenheit, aber wol in ihrer Fried-
losigkeit, in ihrer nervösen, krankhaften Unruhe. Boccaccio, um neun Jahre
jünger als Petrarca, stirbt ein Jahr nach ihm (1375). Er ist so wenig wie
Petrarca ungläubig, aber um sehr vieles weltlicher als dieser, der übrigens
gen Ende seines Lebens immer ernster und religiöser geworden war. Heute
kennt man Boccaccio hauptsächlich nur mehr als den Verfasser des leicht-
VOIGT
KRAUS
Petrarca
Briefwechsel
(Essays