Volltext: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit: Renaissance und Neuzeit (Bd. 2, Abth. 2, Hälfte 1)

Einundzwanzigstes 
Buch. 
Aber in der Sache hat Renan Recht, und jedenfalls ist es unleugbar, dass in 
Italien das ganze sogen. Mittelalter hindurch der lateinische Gedanke herrschte 
und dass die Wiedergeburt der Antike in der Litteratur wie in der bildenden 
Kunst eine leichte und natürliche Anknüpfung an Ueberlieferungen, die nie- 
mals gänzlich abgebrochen, und an Bildungselemente, auf Welche man nie 
vollends verzichtet hatte, gefunden hat. Aber übertriebenes Gewicht darf auf 
diese Dinge nicht gelegt werden. 
Das Die Continuität der lateinischen Sprache, welche sich als Kirchensprache 
 und Unterrichtsmittel das ganze Mittelalter erhielt und selbstverständlich bei 
dem Vorschlagen des kirchlichen Elements in Italien doch zäher als sonst irgend- 
wo bewahrt wurde, das Uebergehen des Lateinischen in das Volgare sind That- 
sachen, die an sich schon zeigen, dass der Faden zwischen dem Alterthum 
und den späteren Jahrhunderten hier niemals abgebrochen ward 1. Damit ist 
indessen nichts entschieden über das Mass von Bildung, welches Italien 
zwischen dem Sturze des römischen Westreiches und dem Wiederaufleben der 
Antike im Trecento aus dem Schatz des Alterthums noch zulioss. Wir haben 
gesehen (I 477), wie mit Gregor dem Gr. das alte Römerthum begraben 
wurde. Wie wenig das 6. und 7. Jahrhundert, vollends das 8. Jahrhundert 
vor der antiken Cultur in Rom sich bewahrt hat, zeigen die Inschriften, 
welche mit dem 7. Jahrhundert sozusagen ganz verstummen. Wir haben den 
 Zustand Roms in jener Zeit (I 477) geschildert. Im 8. Jahrhundert entstehen 
in den von den Langobarden besetzten Landestheilen neue Schulen, und 
Italien nimmt einigen Antheil an der sogen. karolingischen Renaissance im 
9. Jahrhundert. Bobbio und Montecassino erheben sich, unterstützt durch rege 
Beziehungen zu fränkischen und alemannischen Klöstern, zu Centren des 
Studiums." Aber der Aufschwung hält nicht lange vor. Inmitten des ewigen 
Bürgerkriegs, des wilden Treibens der Factionen, der Entartung des Ponti- 
ticates selbst, das zum Spielball der Parteien Wird, versinkt nach Nikolaus I 
die Bildung wieder mehr und mehr. Seit Baronius, der das 10. Jahrhundert 
des SCIBCMZWIYL obscumem genannt, hat man sich gewöhnt, dieses Jahrhundert 
als die Epoche tiefsten intellectuellen und moralischen Verfalles anzusehen. 
Wir haben (II 1, 33) gezeigt, dass diese bei uns durch Gatterer begründete, 
auch noch von Giesebrecht festgehaltene Auffassung für Deutschland nicht 
zutrifft. Neuerdings hat N ovati den Versuch gemacht, für das 11. Jahr- 
hundert eine geistige Erhebung und ein Erstarken der Studien nachzuweisen, 
welche von ferne den nationalen Gedanken ahnen liessen und den Aufschwung 
des 13. Jahrhunderts ankündigten; schon im 12. Jahrhundert findet er in der 
Nachahmung des Virgil, Ovid, Lucan, in der mönchischen Versifieation und 
in der Verbesserung des Hexameters einen Fortschritt zum Classicismus hin, 
Selbst für das 10. Jahrhundert will er einen so tiefen Verfall der Bildung, 
wie man ihn allgemein annimmt, nicht zugeben 2. Im einzelnen erweisen 
sich Novatfs Argumente den Einwendungen Cians gegenüber nicht alle als 
stichhaltig, und wir möchten seine Ansicht über das  Jahr-hundert hin- 
sichtlich Italiens nicht vertheidigen. Aber das Aufsteigen der Cultur und der 
l M anchebeachtenswerthe Bemerkung über 
den Geist des alten Italiens und sein Verhält- 
niss zur Antike bietet BARTOLI l. cfp. 83-87. 
Ihm ist seine Poesie eine Arbeit der Purification 
des ganzen Mittelalters im classischen Sinn. 
2 FRANC. Novxn Uinflusso del ponsiero 
latino sopra 1a Civiltim italiana del medio 
evo. Milano 1897.  Dagegen VITT. CIAN 
im Arch. stor. ital. Ser. V, t. XXI (1898) 
1 disp.
	        
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