Einundzwanzi gstes
Buch.
Hier war es also vor allem die Veranlagung des Volkes, das, von Hause
aus gesund, unter dem schönen, warmen Himmel Toscanafs und Umbriens
auch nach den schwersten Gewittern rasch wieder den Bogen des Friedens über
sich aufsteigen sieht: ein Naturell, das im 13. Jahrhundert noch durch ein
starkes kirchliches und communales Regiment zusammengehalten, im 15.
schon mächtiger und stürmischer wird, dann aber doch noch auf lange Zeit
durch den Umgang mit der Natur frisch erhalten wird und in ihr noch immer
die Quelle eines Friedens findet, den die geistigen Mächte, welche jetzt auf
das Innere des Menschen losstürmen, bereits zu untergraben begonnen hatten.
Aufnahme Das Eintreten der Antike in die Vorstellungswelt des Quattrocento ist
"e"erstoße' im folgenden Abschnitte dieses Buches zu behandeln. Mit der Aufnahme der
antiken Stoffe, sowol der historischen als noch mehr der mythologischen, hat
sich die Renaissance freilich vom Volke und dessen Vorstellungen entfernt,
und je mehr die Antike zur Herrschaft gelangt, desto entschiedener tritt
dieser Mangel an Volksthümliehkeit der neuen Kunst, im vollen Gegensatz
gegen die Gothik, hervor. Wie sich die Renaissance damit ihr eigenes Grab
gegraben hat, werden wir seiner Zeit sehen. Für das 15. Jahrhundert von einer
Diserepanz von Kunst und Leben zu sprechen1, scheint uns nicht angängig.
In dem Volke herrschte im ganzen noch eine tief religiöse Lebensauffassung und
kirchliche Uebung, in den höheren Kreisen trotz aller paganistischen und epi-
knreischen Anwandlungen doch vorwaltend noch immer eine edle und idealisti-
sche Weltanschauung. Von dieser Seite kamen die Inspirationen, jene bewahrte
den fruchtbaren Boden, auf welchen die Saat neuer Gedanken nieder-fiel. Erst
gegen Ausgang des Jahrhunderts änderte sich dies: in den Tagen, wo Fra
Girolamo sich berufen fühlte, gegen das Wachsende Verderben aufzutreten.
Wir lehnen also die Unterstellung einer tiefgreifenden Dissonanz zwischen
dem Volksleben des Quattrocento und dem Phantasieleben seiner Künstler
für das 15. Jahrhundert im ganzen und grossen ab. Mit dem 16. Jahrhundert
wird dies freilich anders. An die Stelle des Volkes treten die Gelehrten und
die von der Masse der Nation durch ihre religiöse und politische Auffassung
geschiedenen, mit dem Auslande vielfach kokettirenden höheren Classen der
Gesellschaft ein. Man darf das beklagen, aber man muss doch zugeben, dass
auch das Zusammenwirken der Gelehrten mit den Künstlern grosse und köst-
liche Kunstschöpfungen hervorzubringen im Stande war. Fast jede grössere
Stadt Italiens liefert in den Erzeugnissen der Spätrenaissanee dafür den
Beleg; keiner ist vielleicht überzeugender als die Farnesenburg Caprarola in
den laurinischen Bergen bei Viterbo, dem Meisterwerke Vignola's mit den
Fresken Taddeo Zuccarfs, welche uns Vasari beschrieben hat 2.
Scheidung
von Mittel-
alter und dle
Renaissance.
Die Frage ,
Renaissance,
wo das Mittelalter für Italien und überhaupt
also mit ihr die Neuzeit beginnt, hat die Kunst-
aufhört und
und Cultur-
' R03. VISCHER Kunstgesch. und Huma-
nismus (Stuttg. 1880) S. 51 f. Ders., Luca
Signorelli und die ital. Renaissance. Lpz.
1879. Dagegen JANITSCHEK in Repert. f.
Kunstw. II 397. Ueber die äussern Ver-
hältnisse der Künstler s. auch SPRINGER Die
Anf. der Ren. in Italien (Bilder I 233
2 VASARI Vite, Tadd. Zucchero, ed.
MILANESI, VII 107, ed. Ln Mozmnm XII
133. BURCKHARDT-HOLTZINGER Geschichte
der Renaissance in Italien 3 (Stuttgart
1891) S. 249, Fig. 211. SCHÖNER in
der Allgemeinen Zeitung 1886, Nr. 101,
Beil.