Begriff,
Natur
constitutive
Elemente
Renaissance.
Was die Lehrweise sowol der altern Zeit, welche uns Cellini noch
schildert, als auch die des ganzen 15. Jahrhunderts vor der Gegenwart aus-
zeichnete, das war die Universalität der künstlerischen Praxis, die durch-
schnittlich in einer und derselben Werkstatt gelernt wurde. Dass der Maler
nicht unbekannt war mit den Forderungen der plastischen Kunst und der
Architektur, das gab ihm jenes vielbewunderte Raumgefühl, die Pracision
der Formen, die Fähigkeit, in jedem Sattel zurecht zu sitzen. Nur durch
eine lange Continuität der künstlerischen Erziehung nach dieser Richtung
konnte es geschehen, dass die drei Hauptvcrtreter der Hochrenaissance faSt
gleichmässig auf allen drei Gebieten der bildenden Kunst bedeutend waren.
Es konnte nicht fehlen, dass in den YVerkstätten sich bestimmte Tra- Traditionen.
ditionen ausbildeten. Der Druck dieser Traditionen war im Trecento noch
stärker als in dem darauffolgenden Jahrhundert. Wie lange hat der Einfluss
Giotto's die Florentiner Schule beherrscht! Mit dem Einbruch des Realismus
im Zeitalter der Masaccio und Brunellesco ändert sich dies. Man wird freier
und geht directer auf das Studium der Natur los. Das Experiment, wie es
Brunellesco und Paolo Uccello einführen, wird in den Ateliers leidenschaftlich
geübt, Perspective und Anatomie studirt; die Gesetze der Bewegung und der
Schönheit des menschlichen Körpers treten allmählich in das allgemeine Be-
wusstsein der Kunstwelt, dessen höchsten und vollendetsten Ausdruck wir in
Lionardo zu bewundern haben. In höherm Grade als irgend Jemand vor
ihm war es dieser umfassendsten aller Künstlernaturen gegeben, den grossen
Schritt von der charakteristischen zur idealen Schönheit zu thun und damit
die italienische Kunst zu einer Höhe zu erheben, welche zu erreichen keiner
andern Nation zugestanden sein sollte. An dieser Entwicklung hat der Ein-
tritt der Antike als eines zweiten, massgebenden Factors ganz gewiss seinen
grossen Antheil gehabt. Aber hatte dieser Factor statt des Naturstudiums
zeitlich und causal die erste Stelle eingenommen; wäre er das eigentlich aus-
schlaggebende Moment gewesen: so würde er der Bewegung etwas Unfreies,
Unfrisches aufgedrückt haben; er würde die Frühlingsstimmung des Rinasci-
mento rasch gebrochen und den Frost eines inhaltleeren, unbefriedigten und
unbefriedigenden Classicismus herbeigeführt haben, wie wir ihn zu Ende des
vorigen Jahrhunderts erlebt haben. Diese Betrachtung ist für die Erkenntniss
des eigentlichen Wesens der Renaissance von der grössten Bedeutung1.
Die künstlerische Erziehung konnte sich nicht vollziehen, ohne dass der Verhältniss
Künstler in ein lebendiges Verhaltniss zu dem Stoffe trat, dessen Dar- Küssen
stellung seinem Pinsel oder seinem Meissel als Aufgabe zutiel. Erst dadurch, zum Stoffe.
dass er in ein fruchtbringendes Verhältniss zu diesem Stoffe trat, ward seine
Phantasie zur schöpferischen Thätigkeit befähigt.
Ueberblickt man die zwischen Niccolo Pisands Auftreten und Raffaels
Tod von der italienischen Kunst zur Darstellung gebrachten Stoffe, so kann
kein Zweifel sein, dass bis zu dem Jahre 1520 der kirchliche legendarische
Stoff weitaus vorherrscht. Die Pisaner, Sienesen, Umbrier cultiviren ihn fast
ausschliesslich. Von ihm lebt in Florenz noch das ganze Trecento. Scenen
vollendet), zum erstenmal herausgegeben und
bearbeitet von WOLFGANG v. OETTINGEN
(Quellenschriften, Neue Folge III). Wien
1890. POMPONIUS GAURICUS (e. 1503)
De Sculptura. Florenz 1504 u. 6., neu
herausgegeben von H. BROCKHAUS. Leipzig
1886.
' Auch JANITSCHEK (a. a. O. S. 46) steht
ganz auf seiten der Anschauung, welche hier
vertheidigt wird.