Buch.
Einundzwanzigstes
Auf dem Gebiete der darstellenden Kunst ist die intime und rege Wechsel-
beziehung zwischen dem Künstler und dem Publicum Quelle der besten In-
spirationen und Antrieb zu den höchsten Leistungen. Diese Wechselbeziehung
ist nirgends so intensiv als in Paris, und ihr entspringt zum guten Theil
die Ueberlegenheit des französischen Theaters über jedes andere.
In dem Italien der Renaissance verhielt es sich ähnlich mit der bildenden
Kunst. Kein anderes Land weist eine so innige Beziehung des Künstlers zu
dem Volke auf als dieses. Schon dies reichte hin, um die künstlerische
Phantasie rasch und reich zu befruchten.
Aber die künstlerische Phantasie bedurfte, um der höchsten Leistungen
fähig zu werden, doch noch eines weiteren. Die plötzliche Inspiration hatte
zu Schöpfungen von dauerndem Werthe nicht hingereicht. Es musste eine
individuelle und nationale Erziehung, eine Erziehung der Phantasie des
Einzelnen wie der gesammten Künstlerwelt hinzutreten, um sie für den höchsten
Wurf zu reifen.
Erziehung Die Erziehung des Künstlers ward seit dem 13. Jahrhundert durch
Küjjge, das corporative Wesen und durch die Werkstatt gesichert.
Die Zurüekführung der mittelalterlichen Handwerker- und Künstler-
genossenschaften auf die collegia fabrorznn u. s. f. der Alten ist, wie
seiner Zeit erwähnt wurde (I 169), zwar versucht werden, aber nicht ohne
starken und begründeten Widerspruch geblieben 1. Die organisirten Con-
sorterien gehen nicht über die, Mitte des 13. Jahrhunderts hinauf. Aus
Siena besitzen wir die Statuten der Malerzunft von 1355, die der Goldschmiede
von 1361, der Bild- und Steinhauer von 14412. Andere sind aus Florenz,
Pisa, Cremona, Padua und Venedig 3. Diese Statuten regeln den Eintritt des
Lehrlings beim Meister, das Verhältniss der Gehülfen zum Meister und das
der Meister untereinander und zur ganzen Universitas, d. h. der Confraternität.
Diese Confraternität hat noch einen ganz bestimmten religiös-kirchlichen
Charakter; sie steht unter dem Schutz des hl. Lueas u. s. f., ist verpflichtet
zur Begehung der zahlreichen Feiertage, zu gewissen Fasten u. s. f. Vor-
Schriften über Farbenbereitung und Bewahrung der technischen Geheimnisse
wechseln mit solchen über die sittliche Führung und den gesellschaftlichen
Verkehr der Lernenden und Lehrenden ab. In einzelnen Städten, wie in
Rom, tritt das religiös-erbauliehe Moment sehr in den Vordergrund. Zu An-
fang des 15. Jahrhunderts dagegen sehen wir besonders in Florenz das
Technische den Vortritt gewinnen. Die Werkstatterziehung wird die Haupt-
sache: wie eingehend geregelt dieselbe war, erfahren wir aus Cenninfs,
Albertfs, Filarete's und Gauricus' Schriften, welche uns überhaupt
die allerwerthvollsten Einblicke in den Kunstbetrieb des Quattrocento gewähr-
leisten 4.
1 Den Versuch machte namentlich HART-
MANN Urkunde einer römischen Gärtner-
genossenschaft vom Jahre 1030. Freib. i. B.
1892. Dagegen BREMER Gött Gel. Nachr.
1893; vgl. Repert. f. Kunstw. XVII 50.
2 GAYE Corteggio inedito (Yartisti l 1; II 1.
MILANESI Documenti per 1a. storia dell' arte
senese I (Siena. 1854) 1. 57. 105.
3 A. SAGREDO Sulle consorterie delle Arti
edificative in Venezia. Ven. 1856.
4 Cmnmvo CENNINI I1 libro del1' Arte o
Trattato della Pittura [um 1400], ed. GAET.
o CARLO MILANESI. Fir. 1859. Imonß
BATTISTA ALBERTI De pictura praestantissima.
et nunquam satis laudata arte ll. III [a. 1435];
zuerst gedr. Basil. 1540. D0rs., De re
aedificatoria [c. 1451], gedr. zuerst Flor. 1485.
De1's., Brevo cornpendiuln de componenda
statua, gedr. Par. 1651 u. -Vg1. die Litt.
über Alberti bei J. MEYER Allg. Künstlerlex.
L (Lpz. 1872) 188 f. ANTONIO AVERLINO
FILARETE Trattato del1' Architettura (1464