Volltext: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit: Renaissance und Neuzeit (Bd. 2, Abth. 2, Hälfte 1)

Buch. 
Einundzwanzigstes 
Descendenz des alten normannischen Adels gegenüber der seit Jahrhunderten 
völlig verkommenen Hefe des Volkes zu praepotent war, um so leicht aus- 
gelöscht zu werden. Venedig hattc eine Optimatenregierung, aber seine 
Adeligen waren vom Volk durch keine Schranken geschieden. Dasselbe gilt 
von dem popularen und Geldadel von Florenz, der sich seit der Austreibung 
der alten Geschlechter im 13. Jahrhundert gebildet hatte, und dessen glänzendste 
Vertreter die Medici, Pitti, Strozzi, Ridolfi, Albizzi, Riecardi, Capponi, Peruzzi, 
Acciaiuoli n. A. sind. 
Diese Ausgleichung der Stande war nicht, wie es die Demokratie des 
ausgehenden 19. Jahrhunderts will, ein Herabziehen der höheren zu den 
tieferen, sondern im Gegentheil ein Hinaufziehen der niederen in die höheren 
Schichten der Gesellschaft. Die nächste Folge, welche sich daraus ergab, war 
eine allgemeine Verfeinerung der Sitten und des Lebens. In der neuesten 
Zeit haben Reichthum, Luxus und Comfort sich mit der Herrschaft über die 
Meere und den Handel nach dem Norden gezogen; zu Ausgang des Mittel- 
alters stellte Italien zuerst verfeinerte Oulturzustände dar. Der Handel der 
grossen Republiken Florenz, Genua, Venedig zog unermessliche Reichthümer 
ins Land, die ihren ersten, dem Auge heute noch auffallenden Ausdruck in 
dem herrlichen Palast- und Villenbau dieser Städte und ihrer Campagnen 
fand. Die Kleidung bewahrte noch lange den malerischen, den Unterschied 
der Stände ausdrückenden Charakter; doch unterwarf man sich mit dem 
16. Jahrhundert mehr und mehr einer herrschenden Mode. Der Handels- 
verkehr mit dem Orient brachte grosse Mengen kostbarer Seiden- und Sammt- 
steife nach Italien, und so entwickelte sich ein Luxus, den alle Trachten- 
und Luxusgesetze nicht einzuschränken vermochten. Die Eitelkeit der Frauen 
und selbst der Männer erfand immer neue Toilettenmittel: nie ist vielleicht 
ein grösserer Aufwand an Wohlgerüchen, Salben, Schminken, eine aus- 
giebigere Pflege der Haartraeht, des Sehuhwerks u. s. w. gesehen worden. 
Nicht minder gross war der Aufwand an Pferden, WIagen, kostbaren und 
seltenen Thieren, die man in Thiergarten pflegte und die hohen Herren, auch 
Päpsten und Pralaten, zum Geschenk gemacht wurden. Das alles waren Dinge 
der Aeusserlichkeit und nur zu oft Anzeichen bedenklicher Verweichlichung 
und Ausschweifung der Sitten, wie sie ja selbst Dante schon beklagt und 
Petrarea an der eleganten Welt der in der päpstlichen Residenz herum- 
laufenden Piiastertreter gerügt hatte. Aber davon, dass auch das Herz der 
Nation von einer edlern und feinern Auffassung des Verhältnisses des 
Einzelnen zu seinesgleichen und zum Ganzen ergriffen War, zeugt die hier 
früher als selbst in Frankreich eintretende Empfindung für gesellschaftlichen 
Tact und Anstand. Während in Deutschland, wie uns das die Schriften eines 
Brant, Fischart, der Simplicissimus lehren, im 16. und 17. Jahrhundert ausser- 
ordentliche Roheiten und Uniläthigkeiten noch etwas Alltägliches Waren, hatte 
sich in Italien seit dem 13. Jahrhundert eine Höflichkeit ausgebildet, die 
allmählich fast schulmässig gelehrt wurde und für die es sozusagen Grammatiken 
gab, wie Giovanni della Casa's ,Galateot (1558). Den Abglanz dieser 
Lebensauffassung bezeugen uns in der Kunst der edle Anstand und die 
graziösen Bewegungen, die fast alle Bilder des 15. Jahrhunderts auszeichnen. 
Die aussergewöhnliche Ausbildung der Conversation und der ,Disputa', wie 
sie die Gesellschaft Italiens im 15. und 16. Jahrhundert aufweist und wie sie 
uns in den Schriften der Castiglione, Bembo, Firenzuola u. A. entgegentritt, 
kam hinzu, um dieses Gefühl für Tact und Grazie weiter zu entwickeln. Auch
	        
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