Einundzwanzigstes Buch.
Wir verzichten darauf, der Weitern Entwicklung des Naturgefühls bei
den italienischen Classikern des 15. und 16. Jahrhunderts, bei Alberti, Fra-
castoro, Boiardo, Lorenzo il Magnifico, Poliziano, bei Ariosto, Sannazaro,
Bembo, Rucellai, Tasso, Vittoria Colonna, Guarini nachzugehen 1. Der ent-
scheidende Schritt war durch Petraroa gethan: ,Was er auf dem Montventoux
gesehen, ward für die Zeitgenossen die Entdeckung einer neuen Welt. Dante
hatte die Welt der "Innerlichkeit entdeckt, Petrarca fand die Herrlichkeit der
uns umgebenden Natur und zeigte den Weg, sich ihrer zu bemächtigen. Zu
diesen beiden constitutiven Elementen kam als drittes das Studium der Antike,
und die Renaissance konnte ihren Einzug halten."
Die Land- Freilich, es hat noch mehr als ein Menschenalter nach Petrarca's Tode
scläifetfegeXßM) gewährt, ehe die Empfindung für landschaftliche Schönheit in der
italienischen Kunst durchbrach. Die Poesie ging auch hier, wie fast überall,
der Arbeit der Maler und Bildhauer voran.
Giotto führt die landschaftliche Umgebung in seine Compositionen ein;
aber es fehlt ihm noch das Auge, um die Bildung der Felsmassen natürlich zu
gestalten; es bedurfte erst des Studiums der Perspective, wie es die Floren-
tiner Realisten Uccello, Brunellesco betrieben, der Heranbildung des Auges
für die Farben, wie es die Niederländer vermittelten, ehe das seelische Em-
pfinden seinen künstlerischen Ausdruck fand. Masaccio macht damit einen
Anfang. Noch bei Fra Angelico sind die Hintergründe und Felspartien von er-
schreckender Schrofiheit. Sein Schüler Benozzo Gozzoli geht hier einen Schritt
weiter. Aber erst der umbrischen Schule gelingt die wahrhaft künstlerische
Behandlung der Landschaft. Mit den Meistern dieser Schule, vor allem
Perugino, zieht dieses Element in die grosse Kunst Italiens ein. Der süsse
Friede, der über den herrlichen Fluren Umbriens liegt und der eine starke
Erinnerung daran bewahrt, dass einstmals der Fuss S. Francescds auf diesen
Gefilden wandelte, er klingt noch durch die Schöpfungen Raffaels hindurch.
Was inzwischen die Florentiner in der Schilderung der Landschaft wie in der
Darstellung des Frühlingszaubers zu leisten im Stande waren, zeigen Sandro
Botticelli und Lionardo.
In allen diesen Werken hat der landschaftliche Hintergrund wenig oder
keinen Bezug zu dem, was der Vordergrund darstellt. Er ist ein Ruhepunkt
für das Auge des Beschauers und könnte für sich selbst bestehend gedacht
werden.
Die moderne Malerei bezieht die Landschaft in den Organismus der ganzen
Composition hinein: die Venezianer, Giorgione und.Tizian, machen damit den
Anfang. Seit man, namentlich in Oberitalien, das heitere Gesellschaftsleben der
reichen Bürger, des Adels und der kleinen Höfe zu schildern beginnt, wird
der architektonische Hintergrund, werden Gärten und Villen, köstliche Laub-
gänge und Colonnaden mit Vorliebe geschildert. Auch die heilige Geschichte
spielt sich jetzt in solcher Umgebung ab.
Sandro Botticelli hat in seiner vielleicht von Dante (Purg. XXVIII 49 f.)
angeregten ,Primavera' uns das echte Stimmungsbild der Renaissance in
ihren guten und schönen Tagen hinterlassen. Es ist ein Frühlingsbild, ein
Erdenmorgen, auch nach dieser Seite eine Vita Nuova, die dieses glückliche
Vgl. BURGKHARDT a. a. O. II 20 f.
VOIGT Enea Silvio de' Piccolomini als P.
Pius II. u. s. Zeitalter III (Berl. 1863) 568 f.
' Vgl. die Auszüge bei HUMBOLDT a.
121. BIESE a. a. O. S. 163 f.
2 KRAUS a. a. O. (Essays I 474).