Zweiundzwanzigstes
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jenigen entsprach, der sein ganzes Leben über den Ruin der Kirche und der Welt
geklagt hat. Das konnte sein Gutes und Heilsames haben, ebenso wie die
grossen Reformgedanken, welche der Frate in das politische und kirchliche
Treiben seiner Zeit hineinwarf, ihre unermessliche, auch heute noch nicht er-
schöpfte Bedeutung hatten. Nichts konnte der Florentiner Kunstwelt nützlicher
sein, als einmal wieder zu religiösem Ernst und sittlicher Einkehr zurückgerufen
zu werden. Ein die ganze Kunst umgestaltendes, sie führendes Princip konnte
damit nicht gewonnen werden, und zwar einfach deshalb nicht, wcil Savona-
rola im innersten Grunde seiner Seele doch kein nothwenrliges persönliches
Verhältniss zur bildenden Kunst besass. Savonarola war geistig so geartet,
dass ihm das ,Eine, was noth thutf in Wirklichkeit allein, das Schöne nur um
dieses willen galt. Er gehört zu Denen, deren Religion sich des ästhetischen
Elementes im Nothfall völlig begeben kann, ohne darum etwas ihnen Wesent-
liches einzubüssen. Auch Francesco d'Assisi war eine strenge Büssernatur.
Aber betrachtet man ihn neben Savonarola, wie hart und schroff erscheint
da der Letztere gegenüber dem geistlichen Minnesänger Umbriens, der in-
mitten eines Frühlings von Poesie und Liebe die Nachtigall in seiner Brust
erwachen und ihr süsses Lied schlagen lässt. Ueberall tritt uns der Gott
Francescds nicht bloss als das höchste Gut, sondern auch als die höchste
Schönheit entgegen: der Stifter des Minoritenordens geht und steht in einem
Blumengarten von Poesie. Und das lasst auch, um auf das Verhaltniss Sa-
vonar0la's zu Lorenzo il Magnifico zurückzukommen, Jenen so viel verlieren,
dass der mediceische Principe wieder eine hochpoetische und künstlerische
Natur war, die nur im Reiche des Schönen leben, athmen konnte. Savona-
rola ist auch im Reich des Religiösen zu sehr Demokrat, um neben und in
ihm dem Schönen sein ganzes volles Recht angedeihen zu lassen: alles Fürst-
liche ist ihm zuwider, alles beurteilt er von seinem Standpunkt aus: Staat
und Kunst, Leben und Jugend. Sein Christenthum lässt uns den ganzen Reiz
und Reichthum eines Geisterfrühlings nicht kennen und kosten. Und doch
ist, mit einem grossen Schriftsteller zu reden, für den Menschen in einem
gewissen Sinne das muntere Leben der Jugend das Höchste, wie bei der
Pflanze selbst das Höchste für unser ästhetisches Empünden die Blüte für
die Welt freilich bleibt das die Frucht, die Hülle des künftigen Geschleehtes1.
Ganz hingespannt auf den einen grossen Endzweck dieses Erdenlebens, den
Fuss in dem fallenden Herbstlaub, legt Savonarola der Jugend das Opfer
eines grossen, vielleicht des besten Theils ihrer selbst auf. Das ist der Tod
jener seelischen Disposition, aus Welcher allein ein grosses Kunstwerk und ein
wahrhaftes Kunstleben sich abheben kann. Es bleibt doch das ästhetische Gefühl
und die jugendliche Empündung dasjenige, was den Künstler über Alles hinaus-
hebt und ihm die innere Freiheit schafft und bewahrt. Nur dem Bewusstsein
dieser innern Freiheit, die jeden Menschen zum Könige macht und die ich in
Savonarolas Methode, in der Art seiner Erziehung von Kindern und Menschen
vermisse, nur diesem Bewusstsein entspriesst ewige Jugend, nur sie hält
den Pulsschlag des innern Lebens frisch bis an den Tod.
SCHLEIERMACHER
Monologen