Buch.
Zweiundzwanzigstes
nahme engerer Beziehungen zwischen den1 Maler und dem Prediger. Der
Sturz des Letztern musste Vielen als ein Sieg der Ungerechtigkeit über das
Recht erscheinen. Alexander VI über dem grossen Vertreter des reformato-
rischen Gedankens thronend musste Tausende irre machen an ihrem Vertrauen
und ihrem Glauben. Perugino ist einer Derjenigen, die mit ihrer Person den
Jammer jener Zeiten bezahlten. Sein religiöses Ideal zerbrach angesichts des
Unterganges Dessen, in welchem sich die Erwartung aller religiös gesinnten
Kreise der Republik verkörpert hatten. Das Grosse, was er geschaffen, hatte
er geschaffen aus einer religiösen Vorstellungswelt, die sicher viel mehr werth
und viel ehrlicher war, als diejenige, deren sich Vasari und seine Zeit zu
rühmen hatten; was später unter seinen Händen entstand, lebte von der Nach-
wirkung der hohen Gedanken, die einst diesen Geist erfüllt hatten. Es liegt
wirklich gar kein Grund vor, in Peruginds Wirksamkeit einen Beleg für die
ästhetische Häresie zu sehen, welche vorgibt, grosse Kunstwerke von bleibendem
christlichen Gehalte könnten aus der Seele eines völlig Ungläubigen entstehen.
Aller Fonds von Poesie und Technik hat in unserm Jahrhundert nicht hingereicht,
ein Engelsköpfchen wie diejenigen des Fiesole zu erzeugen, und alle Versuche
der Gegenwart, den alten traditionellen Christustypus durch eine neue Schöpfung
zu ersetzen, sind kläglich gescheitert. Es genügt selbst nicht, dass der Einzelne
sich noch ein religiöses Bewusstsein gewahrt hat: religiöse Kunstwerke von
bleibendem Werthe werden nicht mehr geschaffen, wo nicht ein starkes, ge-
sundes religiöses Leben die Grundlage des gesammten Volksbewusstseins bildet.
Der Einfluss Savonarolafs lasst sich auch in Peruginois glänzendster re-
ligiöser Schöpfung beobachten. Die Meister, welche sich der geistigen Lei-
tung des Frate hingaben, haben mit Vorliebe den Gekreuzigten mit der
Schmerzensmutter und Magdalena am Fusse des Kreuzes dargestellt (Fra
Bartolommeo; Fra Paolino; Albertinelli). In diesem Zusammenhang will auch
Perugino's grosses Kreuzigungsbild in S. Maria Maddalena de' Pazzi betrachtet
werden. Es fallt in die Jahre 1493-1496, dieselben, wo Florenz unter dem
Zauber des von Savonarola gepredigten Wortes stand. Das Mysterium der
Kreuzigung stand im Mittelpunkt der Betrachtungen des Mönches. Ihm ist
die Schrift ,Ueber den Triumph des Kreuzes' gewidmet; die berühmte Vision,
die das ,Compendi0 delle Rivelazionf beschreibt, dreht sich um die Kreuzigung,
in deren Hintergrund auf dem bekannten Stich die Städte Jerusalem, Rom
und Florenz geschildert sind. Die Addolorata aber, die neben dem Kreuze
zu stehen pflegt, ist alter Tradition entsprechend bei Savonarola das Bild der
trauernden Kirche: Fhabbirmeo posta dipoi in persona d; tutm Zu. Chivsu, (,Tratt.
del misterio della Croce, Molti divotissimi trattatiß Ven. 1547, f. Will man
wissen, was sie zu klagen hat, so sagt uns das des Frate Gedicht ,De Ruina
Ecelesiae' von ca. 1475: Die Madonna, das ist die Kirche, ruft llVehe über
das Unglück der Kirche; über das Unheil, das von Rom, der supcrbn, mrre-
trice Babilovze, kommt: es ist so gross, dass man nur schweigen und Weinen
kann: tu pimzgi e taci, e (jzaesto mrglio prmne. Den weitern Commentar dazu
liefert das Gedicht ,Oratio pro Ecclesia' von 1484: Jesu dolce conforto, schliesst
es, e sommo bene D' ogni afcmratr) core, Risgzzarcla Roma con perfetto amore.
Auch Magdalena hat ihren Platz in dem Zusammenhang dieser Gedanken,
wie die Gedichte ,Ad Iesum quando ad pedes eius Maria flebat' und ,Pro Itine-
rantibus' (In su quelß aspro monte Dove contcmpla la Magdalena etc.) be-
weisen. So angesehen, führen uns diese Kreuzigungsbilder der Savonarolaschen
Schule tief in das innere Leben der Reformpartei ein; sie reden, nur dem