iundzwanzigstes Buch.
übertroffen, welche vor ihm solch ungeheuern Vorwurf behandelt hatten. Aber
er hat auch in der Oomposition neue und bisher nicht dagewesene Motive
aufgebracht. Die Predigt des Antichrist hatte vor ihm kein anderer Italiener
im Fresco darzustellen unternommen; dies ganze Thema war vorzugsweise
der Buchmalerei reservirt geblieben, in welcher die Illustration der Apokalypse
von früh her eine hervorragende Rolle gespielt hatte. Der Antichrist, den der
Maler von Cortona jetzt auf den Plan treten lässt, ist einem der zahlreichen
demagogischen Volksverführer abgesehen, an denen die Geschichte der ita-
lienischen Freistaaten so reich war. Diese grossartige Scene des Aufruhrs
und der Verführung hat Rom mit dem Capitol im Hintergrund, Simon lVIagus
stürzt aus den Wolken über die Albaner Berge herab, wie es die Legende
erzählt; im Grunde könnte sie einer der vielen Revolutionen abgesehen sein,
an denen um jene Zeit die Freiheit Siena's oder Florenz zu Grunde ging.
Müntz macht mit Recht übrigens darauf aufmerksam, dass der Künstler es
vermeidet, die Verkörperung des satanischen Princips, den Antichrist, hässlich
darzustellen. Er weicht hier von dem traditionellen Typus gänzlich ab und
macht sich zum Vorläufer Miltons, der seinen Satan schön schildert. Einzelne
Episoden, wie die Fulminati (della Valle tav. XXX), sind von einer bisher nie
gesehenen packenden Realistik. Die ltisurrezione ist das schwächste dieser
Iilresken. Es fehlt ihr das volle dramatische Interesse; so gross die Kunst
ist, welche der Meister in der Vorführung der aus ihren Gräbern aufstehenden
nackten Gestalten bewährt, das Ensemble dieser Composition ermangelt der
geistigen Durchdringung, die Auferstehenden sind nicht wie bei Fiesole von
unbesiegbarer geheimer Gewalt zu dem Urheber ihrer ewigen Beseligung hin-
gezogen, und die Einführung der Skelette mitten unter die bereits vom Fleisch
wieder Umkleideten gibt dem Bilde einen fremdartig-schauderhaften Bei-
geschmack. Um so eindrucksvoller ist das Gemälde der Hölle. Der Erzengel
Michael, welcher die obere Partie desselben einnimmt, hat eben den Kampf
mit den bösen Engeln vollendet, die zur Hölle hinabstürzen. Hier entrollt
sich das Bild des Jammers, Dante's Cittd dolente, in der die höllischen Henker
sich ihrer zur ewigen Verdammniss verurteilten Opfer bemächtigen. Scham,
Schmerz, Enttäuschung, Hass, Wuth, und was Alles an grauenhafter Erregung
diese Unseligen erfüllen kann, ist hier geschildert. Wilde, grausige Ausbrüche
wechseln mit zarten Zügen ab, wie der dem Masaccidsehen Sündenfall entlehnte
Unglüekliche, der sich das Antlitz mit seinen Händen verbirgt. Man athmet
auf, wenn man zu dem Paradiese gelangt (Fig. 122): oben der süsseste Chor
von Engeln, deren himmlische Musik zum Eintritt in die ewige Glerie lädt;
drunten die Schar der Berufenen. Die traditionelle Darstellung gab ihnen
beim Eintritt in die Himmelspforten eine weisse Tunica, welche die Schutz-
engel ihnen anlegen; hier wirft ihnen eine unglaublich köstliche Engelschar
Blumen zu, die sie bekleiden sollen: die duftigen Zeugen einer Erinnerung,
die ungestraft und unbeschämt in die Jahre unserer irdischen Pilgerfahrt
zurückgreifen darf und die nun eingerückt ist in eine Sphäre, in der diese
blühenden Rosen nicht mehr hinsterben; wir dürfen uns ihrer erfreuen, ohne,
wie in diesen sterblichen Tagen, mitten im Leben vom Tod umfangen ein
Blatt nach dem andern verwelkt dahinfallen zu sehen.
Drei Jahre nur trennen die Entstehung dieser Bilder von dem Augen-
blick, wo der Pinsel Miehelangelds und derjenige Raffaels in der Sistina
und den Stanzen des Vaticans dem christlichen Gedanken seine höchste
künstlerische Ausgestaltung verleihen: bis hart an diesen grössten Moment