Zweiundzwanzigstes Buch.
Die Kreuzigung zählt zu den Thematen, welche Fra Angelico mit Vor-
liebe wählte. Er hat sie in S. Marco noch öfters gemalt: in lebensgrossen
Dimensionen auch in einem Fresco, welches aus einer Florenz benachbarten
Landkirche 1880 vom Louvre erworben wurde. Was Cavalcaselle (II 153)
über seinen Crueifixtypus sagt, kann im allgemeinen gebilligt werden. Es ist
eine Fortsetzung des giottesken Typus, in der Bildung des Nackten gefälliger,
mehr seelenvolle Ruhe und Entsagung als Energie und Kraft widerspiegelnd.
Dass Fra Angelico dem Typus des Altmeisters Giotto mehr Innerlichkeit und
vollkommenere materielle Form lieh, kann auch zugegeben werden; aber zu viel
wird behauptet, wenn es heisst, seine Leistungen seien hierin Anfang und
Endpunkt christlicher Schilderei. Damit wird ebenso dem vorgiottesken Cruci-
iixus als späteren Künstlern Unrecht gethan: Albrecht Dürers Gekreuzigter
steht entschieden über demjenigen Fiesoleis, und selbst Van Dyck kann hier
seine Ansprüche geltendmachen. Es muss auch bemerkt werden, dass Fiesole
sich keineswegs immer auf der Höhe des grossen Bildes im Kapitelsaal von
S. Marco hielt. Die kleine Tafel in der Akademie ist zwar in der Haupt-
figur auch von grosser Würde und imponirender Feierlichkeit, sinkt aber in
den beiden Schachern, namentlich dem bösen, bis zu abstossendem Naturalis-
mus herab, den selbst das viel durchgeistigtere Kreuzigungsbild in S. Marco,
vor welchem der hl. Dominicus die Arme ausbreitet, nicht völlig überwindet.
In dem obern Stockwerk des Klosters, dem Dormitorio, liegen die 42 Zellen,
welche mit den auf den Gangen angebrachten im ganzen 52 Wandgemälde
enthalten. Bei weitem nicht Alles wird von Fiesole herrühren; mehrfach
wird die Zahl der ihm gehörenden nur zu 22 angegeben. Dass er sich von
Schülern und Gehülfen, in erster Linie von seinem Bruder Benedetto, hier
unterstützen liess, ist gewiss; im einzelnen ist noch nicht bis zur Genüge
festgestellt, was ihm oder Andern gehört. Es müsste die betreffende Unter-
suchung doch noch besser, als es bisher geschehen ist, durch Vergleichung
aller notorischen Arbeiten, namentlich Heranziehung der kleinen Tafelbilder
der Nunziata, die Grundlage für eine schärfere, feste ikonographische und
stilkritische Analyse gewinnen.
Unser XIX. Buch hat in der Darstellung der Ikonographie bereits mehrere
der hier in Betracht kommenden Fresken behandelt, so die Verkündigung,
welche uns beim Eintritt in den Corridor des Dormitorio begrüsst (II 1, 285),
die Darstellung Jesu im Tempel (ebd. 288), die Anbetung der Weisen (ebd. 290),
die Taufe Christi (ebd. 295), das Abendmahl (ebd. 299). Wir heben hier
nur das Wichtigste hervor. Da ist nicht zu übersehen das Noli-me-tangere:
Magdalena, menschlich ergriffen und von Bewegung überwältigt, vor dem Herrn
daniedersinkend und die Arme nach ihm ausstreckend Jesus mit einem höchste
ergeben: In der Mitte S. Dominicus, der den
Stamm des Baumes in den Händen hält.
Rechts von ihm folgen sich: 1. Papst Inno-
cenz V; 2. Oardinal Hugo; 3. S. Paolo von
Florenz (Pilastri, Patriarch von Grade);
4. S. Antoninus von Florenz; 5. der sel.
Jordanus von Sachsen, zweiter Magister Gene-
ralis des Ordens (Gsell-Fels macht aus ihm
Giordano Bruno l); 6. der sel. Nikolaus (Paglia,
da Giovenazzo), Provincial; 7. der sel. Remi-
gius von Florenz (il Seniore); 8. der sel.
Buoninsegna Martyr (Cicciaporci, Fiorentino).
Links von Dominicus folgen sich: 1. der sei.
Papst Benedict Xi; 2. der sel. Giovanni
Dominici, Cardinal; 3. der sel. Pietro da.
Palude (il Postillatore); 4. der sel. Albertus
der Grosse; 5. der sel. Raimund von Penn-
forte; 6. der sel. Chinro (Clarus) da Sesto,
erster römischer Provincial; 7. der h]. Vin-
centius Ferreri; 8. der sel. Bernhard Martyr
(wahrscheinlich einer der drei 1240 im Avigno-
nischen Getödteten). Die Heiligen tragen den
kreisförmigen Nimbus, die Seligen haben das
Haupt von Strahlen umzogen.