Buch.
Zweiundzwanzigstes
Fra.
Angelico.
Fra Angelico hängt also immerhin mit starken Banden am Mittelalter,
aber er durchbricht mit seinem Subjectivismus und der Lebhaftigkeit seines
Ausdruckes den Bann der ältern Schule. Im Wesentlichen ist das auch die
Ansicht des neuesten Kritikers. Nach E. Müntz ruht das Geheimniss seiner
Originalität nicht in irgend einem technischen oder stilistischen Fortschritt,
sondern in der Intensität seines religiösen Gefühls, der Lebendigkeit seiner
Eindrücke, der Delicatesse seines Geschmackes. ,In einem weniger that- und
neuerungssüchtigen Zeitalter hätten solche Eigenschaften hingereicht, um Fra
Giovanni einen mächtigen Einfluss auf die Entwicklung der Kunst zu ge-
statten. Im 15. Jahrhundert reichten sie aus, um aus diesem Dominicaner-
mönche einen mit den grössten Meistern gleichen Schritt haltenden Künstler
zu machen, aber doch nur einen isolirten, rückständigen Meister, der, wie
P. Mantz sich ausdrückte, die Methode der abgelaufenen Zeit bis tief in die
Renaissance hinein fortsetzte."
Ganz zutreffend oder erschöpfend kann auch letztere Bemerkung nicht
genannt werden. E. Müntz hat anderwärts selbst zugegeben, dass Fra An-
gelico gerade in seinen letzten und besten Schöpfungen der Renaissance eine
ausserordentliche Concession gemacht hat. ,Das Alterthumß meint er2, ,feiere
in den Fresken der Kapelle Nikolaus V einen seiner seltensten Triumphe:
Derjenige, welcher der Maler des Christenthums par excellenco gewesen,
opfere hier auf dem Altar des griechisch-römischen Genius. Die ewige Stadt,
welche in Sachen der Kunst so viele Wunder gewirkt, habe sicherlich keines
aufzuweisen, auf welches sie stolzer sein könntef Wir werden sehen, was
an dieser nicht ganz unbedenklich scheinenden Aeusserung Wahres ist.
Fra Angelico ist nicht Weit von Giottols Heimat, am Fusse des Castello
Vicchio im Mugello (nicht, wie Vasari irrthümlich berichtet, in Fiesole) ge-
boren, Wol um 1387. Man nannte ihn in der Welt Guido oder Guidolino.
Mit seinem Bruder trat er 1407 in das Kloster der Dominicaner in Fiesole
ein, wo jener den Namen Benedict, er selbst denjenigen des Täufers, Jo-
hannes, erhielt. Welchen Familiennamen die Brüder trugen, ist unbekannt;
vielleicht, wie das damals noch vielfach der Fall war, keinen 3. Beim Ein-
tritt ins Kloster hatte Fra Giovanni 20 Jahre; wahrscheinlich brachte er
bereits die Anfänge seiner künstlerischen Ausbildung dahin mit. Es ist
ebenso oft behauptet wie bestritten worden, dass Fra Giovanni aus der Schule
der Miniatoren hervorgegangen und selbst Miniator gewesen sei, wie das Va-
sari bestimmt angibt. Wer die in der Bibliothek zu S. Marco in Florenz
aufgelegten Denkmäler florentinischer Buchmalerei des 14. und 15. Jahr-
hunderts durchgeht, wird die nächsten Verwandten Fiesole's leicht entdecken.
Da ist ein 156 Blatt enthaltendes Missale (Nr. 44), welches aus der National-
bibliothek hierher verbracht wurde und welches, namentlich in dem leuch-
tenden Farbenauftrag, besonders in dem Verkündigungsbilde, eine so auf-
fallende Uebereinstimmung mit Fra Angelico zeigt, dass man versucht sein
könnte, diese Miniaturen diesem selbst zuzuschreiben. An ihn klingt auch
ein anderes Missale (II , 306 Blatt, Nr. 19) an, das aus S. Marco stammt
(14. Jahrh.) und dessen köstlicher Salvator mundi eine Heiligenversammlung
aufweist, sehr ähnlich derjenigen auf Fies0le's grossem Kreuzignngsbilde im
1 MÜNTZ Ren. I 664.
2 Präcurs. p. 101.
3 In der Dominicanerchronik
Fiesole
VOTI
heisst es zum Jahre 1407 einfach: Fratcr
Ioannes Petri de Mugello iuxla Vichizmz
(MARCHESE Memorie I 272).