Volltext: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit: Renaissance und Neuzeit (Bd. 2, Abth. 2, Hälfte 1)

Frührenaissance. 
italienische 
Die Bezeichnung Fiesoleis als Haupt der mystischen Schule hat die weitere 
Vorstellung bedingt, als sei er wesentlich ein mittelalterlicher, der Renaissance- 
strömung im Princip abgewandter Künstler, mit dem die eigentlich christ- 
liche Kunst ihren Abschied nimmt. Auch diese Art, die Dinge anzuschauen, 
ist durchaus verfehlt. Wir haben die Entdeckung des innern Menschen, die 
Wiedergabe seelischer Vorgänge in den Gesichtszügen und in der Bewegung 
des Körpers als ein, und zwar das erste, constitutives Element der Renais- 
sancebewegung kennen gelernt. Gerade das aber ist, wie schon der Be- 
gründer unserer modernen Kunstgeschichte, C. F. V. Rumohr, erkannt hat, das 
Charakteristische bei Fiesole, dass er ,die Ergründung des innern Zusammen- 
hanges, der einwohnenden Bedeutung menschlicher Gesichtszüge übernahm, deren 
Fundgruben er zuerst der Malerei eröffnet und in höchster Fülle für seine 
ihm ganz eigenthümlichen Kunstzwecke benutzt hat". Damit war die florenti- 
nische Kunst um einen ungeheuern Schritt vorwärts gekommen. Freilich, 
etwas Vollkommenes konnte auch Fra Angelico nicht darstellen. Auch hier 
hat schon v. Rumohr klar erkannt, was dem Mönch von S. Marco fehlte. 
,Nach beliebten und angenommenen Voraussetzungen hätte ein so zartes gei- 
stiges Streben unsern Angelico vom Objektiven abziehen und gleichsam in 
sich selbst concentriren müssen. Doch ganz im Gegenthcil war es aber dieser 
schwärmerisch vom Irdisehen abgezogene Geist, welcher unter den Neueren 
zuerst den menschlichen Gesichtsformen ihre volle Bedeutung abgewann und 
deren mannigfaltigste Abstufungen benutzte, seinen Darstellungen eine grössere 
Fülle und Deutlichkeit zu geben.  Freilich verleugnet Angelico nirgends 
die verwaltende Stimmung seiner Seele, neigt sich an keiner Stelle zum 
Starken, Wuchtigen, Zürnenden, kaum einmal zum tief Schmerzlichen; doch 
geiiel er sich, den einen Charakter milder Seelengüte durch eine Unermess- 
lichkeit von Abstufungen hindurchzuführen. Diese werden wir indes nur in 
seinen Gesichtsbildungen aufsuchen wollen, deren innerer Zusammenhang unter 
den modernen Malern ihm zuerst ganz aufgegangen ist. Hingegen blieb ihm die 
Gestalt stets fremd, weshalb er überall, wo er in der Handhabung des Leibes 
über den einfachen Zuschnitt der giottesken Manier hinausging, wol noch die 
Bewegung des Oberleibes beherrschte, doch selten das Untergestelle, welches 
in seinen Gemälden meist sehr unbelebt und hölzern lässt. Auch lag es 
ausser seinem Absehen, die malerische Anordnung, gleich dem Masaccio, durch 
schärfere Beleuchtung und massige Schattengebung zu unterstützen; obwohl 
er den Gang des Gefaltes, dessen Antheil an dem Reize malerischer Dar- 
stellungen grösser ist, als ich zu erklären weiss, mit ungemeiner Feinheit für 
seine Zwecke zu benutzen wusste." 
norum Opus" (Impr. Fulginiae per Joh. Simonem 
et Vincentirlm Cantagallos Fulginates. Anno 
Virginei partus M.D.XXXXVII. Mense Janu- 
arii)  ein freilich fast unaufündbarer Druck 
 für die toscanisch-umbrische Kunst noch 
nicht verwerthet wurde.  Seit diese Blätter 
geschrieben sind , ist das Buch ALFRED 
PELTZERS Deutsche Mystik und Deutsche 
Kunst (Strassb. 1899) erschienen, eine an 
verdienstlicher Forschung wie an seltsamen 
Missgriffen gleich reiche Arbeit. Ich werde 
anderwärts auf dasselbe zurückkommen, muss 
aber schon jetzt Protest erheben gegen den 
vollkommenen Unsinn, welchen Herr Peltzer 
S. 27 betreffs meiner Stellung zur Mystik und 
deren Verhältniss zur bildenden Kunst vor- 
bringt. Es war von einem Anfänger nicht an- 
zunehmen, dass er mit dem bekannt war, was 
ich an vielen Orten seit nahezu 40 Jahren über 
diesen Gegenstand geschrieben habe; aber ich 
konnte wenigstens erwarten, dass er gelesen 
hätte, was JI 1 , 439 über die mystischen 
Visionen des Mittelalters und die Schilderun- 
gen des innern Lebens als Quelle für die Kunst- 
vorstellungen der Zeit geschrieben steht. 
' RUMonR Ital. Forsch. II 243. 255 f.
	        
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