Zweiunmlzwanzigsfes Buch.
Diese Worte werden stets die treffendste Wiedergabe der Eigenart unseres
Künstlers bilden; es muss indessen der Versuch gemacht werden, mit der Be-
zeichnung ,mystische Schulef, Welche in der Kunstgeschichte so viel gebraucht
und missbraucht worden ist, einen festen Begriff zu verbinden: eine Termino-
logie, welche sich auf unklare oder kaum haltbare Vorstellungen gründen
würde, hätte kein Recht des Daseins. Rio meint: ,Le mysticisnze est ä la pein-
ture ce que Vextase 0st ä. la psychologief Aber auch damit kommen wir im
Grunde um keinen Schritt weiter. Will man mit dem Ausdruck diejenigen
Künstler treffen, welche in ihren Gebilden ein über das Mass des Gewöhn-
lichen hinaus gehobenes Andachtsgefühl wiedergeben, so hätten die Sienesen
und Umbrier einen nicht mindern Anspruch, als Adepten der mystischen
Schule erklärt zu werden. Will man damit die Darstellung der thatsächlichen
religiösen Ekstase treffen, so müssten die späteren Spanier als die Mystiker
par excellence in der christlichen Kunst anerkannt werden. Die deutsche
speculative Mystik, aus dem Verlangen nach unmittelbarer Gemeinschaft mit
der Gottheit, nach unmittelbarer Erfahrung des Göttlichen selbst geboren,
hat unzweifelhaft auf die deutsche Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts einen
gewissen mittelbaren Einfluss geübt. Diese Einwirkung ist in der Geschichte
der oberrheinischen und kölnischen Schule noch zu untersuchen und im ein-
zelnen nachzuweisen. Da diese Mystik im Predigerorden ihre namhaftesten
Vertreter (Eckhart, Fauler, Suso, Theoderich von Freiburg u. A.) zählte, und
da wenigstens einige ihrer in lateinischer Sprache verfassten Geistesproducte
auch ausserhalb Deutschlands Eingang fanden, so stünde an sich der Annahme
nichts entgegen, dass Fiesole von der grossen mystischen Bewegung seines
eigenen Ordens erfasst gewesen sei; dafür, dass dies in der That der Fall
gewesen, ist indessen bis jetzt kein Beweis gebracht worden. Eine andere
Frage ist freilich, inwieweit unser Maler mit den Schriften der praktischen
Mystiker Italiens bekannt war und welchen Einfluss dieselben auf seine In-
spiration und Ikonographie geübt haben können. Die Gefahr liegt hier immer
nahe, dass gewisse Vorstellungen, Visionen u. dgl., welche sich bei den einen
oder andern Mystikern aufgezeichnet finden, als Erweis eines directen Zu-
sammenhanges zwischen dem Schriftsteller und dem Künstler betrachtet werden,
während sie Gemeingut der ganzen mystischen Contemplation waren und im
einzelnen oft absolut nicht mehr festzustellen ist, auf welchem Wege sie dem
Maler zuflossen. So ist Tumiatfs Versuch, Fiesole in unmittelbare Ab-
hängigkeit von der hl. Angela von Foligno zu setzen, sicher als verfehlt
zu betrachten 1. Mehr Glück dürfte Schrörs mit seinen Hinweisen auf die
Schriften der hl. Caterina von Siena haben 2. Ein umfassenderes Studium der
einschlägigen italienischen Litteratur dürfte wol noch weitere Aufschlüsse
gewähren. Genug, dass hier der Weg angedeutet ist, auf welchem die Fiesole-
Forschung für die ikonographische Seite einzulenken hat 3.
1 TUMIATI 1. c. p. 84.
2 ScnnöRs a. a. O. 321 f.
3 Kein Zweifel vor allem kann an dem
Einflüsse bestehen, welchen der Prior von
S. Marco, der hl. Antoninus, auf Fra. Gio-
vanni ausübte, der 1437 mit ihm nach S. Marco
zurückkehrte. Indessen wäre auch andern
Dingen nachzugehen. S0 geben uns die von
PBEGER Gesch. d. deutschen Mystik II
(Lpz. 1881) 410 ff. gesammelten Dominicaner-
betrachtungen über zahlreiche Bibelverse,
dann SUsds Schriften sehr detaillirte Aus-
kunft über eine Vorstellungswelt, welche
Fiesole unmöglich fremd sein konnte.
Wie Manches nach dieser Richtung für die
Ikonographie der italienischen Renaissance
noch zu thun bleibt, zeigt der Umstand, dass
eine so ergiebige Fundgrube wie des Fr.
LAURENTIUS MASSORILI Fulginatis ordinis min.
regul. observantiae ,Aureum sacrorum Hym-