Volltext: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit: Renaissance und Neuzeit (Bd. 2, Abth. 2, Hälfte 1)

Zweiundzwanzigstes Buch. 
lehrt die griechische Inschrift, welche eines seiner letzten Werke, die heilige 
Familie der Nationalgalerie in London, begleitet 1. 
Die Madonnenbilder Botticellfs, für welche jetzt mit Vorliebe das Format 
des Rundbildes (Tondo) gewählt wird, sind, wie alle seine Hervorbringungen, 
nicht frei von Monotonie. Man kann auch nicht umhin, bei ihnen einen ge- 
wissen schläfrigen Zug zu iinden: das ist nicht das starke Weib, das sich 
aufmacht, um die frohe Botschaft über die Berge zu tragen oder ohne zusammen- 
zubrechen unter dem Kreuze steht. Aber kein anderer Meister hat das Element 
sanfter, geheimnissvoller Schwermuth so wie er wiederzugeben vermocht. In 
den vielen Devotionsbildern seines Pinsels, wie sie über ganz Europa zerstreut 
sind, Wechselt in dem Ausdruck der Madonna süsseste Melancholie und töd- 
tender Schrecken. Wo sich die Jungfrau mit dem Jesuskinde zu dem kleinen 
Johannes herabneigt, kann man den Contrast in der Zärtlichkeit der Kinder 
und den schwermuthsvollen Zügen einer eine schmerzenreiche Zukunft ahnenden 
Mutter bewundern. 
Dieser Fonds wahrer Poesie, welcher die Trockenheit der Contouren, die 
geringe Anmuth in der Linienführung, die Härte der Gewandung, den phanta- 
stischen Typ der Köpfe, in denen Lippo Lippi's Gesichter und Frisuren nach- 
spielen, vergessen lässt, erklärt wol zum Theil die Popularität, deren der 
Meister sich seit einer Generation namentlich in England erfreut. Aber das liebe- 
volle Eingehen der Praeraffaeliten auf die Manier und die Typen Botticellfs hat 
doch noch einen tiefern, in dem psychischen Leben der Gegenwart liegenden 
Grund. Gerade das Eckige, Unerfahrene, Incorrecte in Botticelliis Zeichnung 
hat Gabriele Rossetti, der nie zeichnen gelernt, angezogen, und selbst aus den 
Schöpfungen des viel bedeutendern Burne-Jones spricht das Tendre dieser 
Praeraüaeliten für das heraus, was bei Botticelli krankhaft ist. Der Praeraffae- 
litismus ist die liebenswürdige Offenbarung der innern Unruhe und Unbe- 
friedigung, die unser Geschlecht verzehrt. Aber so köstlich er ist, er ist und 
bleibt ein Krankheitssymptom  nicht der schlechten, sondern der besten 
Seelen, die mit und unter uns zu jenem Gestade wanderten, an dem wir den 
Dichter zu Anfang des Purgatorio wiederünden. 
Fra Filippo Lippi's natürlicher Sohn Filippino Lippi (geb. zu Prato 
1457, gest. zu Florenz 1504) war noch von dem Vater in die Malerei ein- 
geführt, dann nach dessen Tod seinem Ordensbruder Fra Diamante (ca. 
1430 bis ca. 1498) zur weitern Erziehung übergeben worden, bis er in die 
Schule Botticellfs kam, in dessen Manier er sich vollkommen hineinlebte. 
E. Müntz nennt sein Wesen eine Mischung von (listinction, esprit und frivolitä. 
Jedenfalls sind es seine besten Eigenschaften, welche in dem köstlichsten seiner 
Werke, der schon 1480 für die Badia gemalten Erscheinung der heiligen 
Jungfrau vor S. Bernhard (Fig. 73), uns entgegentreten: eine meisterhafte Com- 
position, in der wir ebenso die Anordnung wie Colorit und Ausdruck, vor allem 
den Schmelz der Farben und den das Ganze durchwehenden poetischen Hauch 
bewundern. Im Jahre 1484 erhielt Filippino den Auftrag, die Arbeiten des 
Masolino und Masaccio in der Brancacci-Kapelle zum Abschluss zu bringen; 
1 Sie besagt: ,Dies Gemälde wurde zu 
Ende 1500 gemalt, während der Unruhen in 
Italien, von mir, in der Hälfte der Zeit nach 
der Zeit, in welcher das elfte Kapitol des 
hl. Johannes und der zweite Schmerz der 
Apokalypse sich erfüllte und Satan während 
dreieinhalb Jahren (seit der Hinrichtung 
Savonarolaäfs?) auf die Erde losgelassen 
wurde. In der Folge wird der Dämon an- 
gekettet werden, und wir werden ihn wie 
auf diesem Gemälde mit den Füssen zer- 
treten sehenf
	        
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