Begriff,
Natur
constitutive
Elemente
Renaissance.
Damit ist die ausschliessliche Herrschaft des didaktischen Zweckes in der
Kunst beseitigt; es wird anerkannt, dass die Kunst ein seelisches Vergnügen,
ein inneres Geniessen zu schaffen hat, und wenn Dante dem kommenden
Realismus des Quattrocento damit die Thüre öffnet, so zeigt er Purg. XXXI 49
und Coiivivio IV c. 25 auch zuerst die unverhüllte Empfindung für die An-
erkennung der Schönheit des menschlichen Körpers. Aber diese Schönheit
gipfelt ihm nicht in der Pracht und Ueppigkeit der Glieder, sondern in der
Schönheit des menschlichen Antlitzes, aus dessen Zügen ihm die unausspreeli-
liche Schönheit Gottes herausleuchtet (Parad. XXVII 91 f.; III 10-15. 58).
Die Kunst hat also als höchstes Ziel die Verklärung der menschlichen in die
göttliche Schönheit, das traszunanar (Parad. I 170; XX 13 f), darzustellen.
Die höchste Schönheit des Erdenleibes, den wir hier tragen, ist nur ein Ab-
glanz der geistigen, auf Gott zurückweisenden, und da, wo die Sünde das
Ebenbild Gottes im Menschen entwürdigt, versinkt der Anspruch unserer
Körperlichkeit, der Kunst als höchster Vorwurf zu dienen.
Ich habe seiner Zeit hervorgehoben, wie hier der Punkt ist, wo der christ-
liche Idealismus der Primitiven sich von dem sinnlichen Naturalismus der
Späteren scheidet. Für jene ist Dante, von Giotto herab bis zu Raffaels Tod,
der eigentliche Gesetzgeber: sein Einfluss halt wie eine unsichtbare Macht
die Geister Italiens auf dem Boden zurück, wo ein edler Idealismus und
ein gesunder Realismus thatsächlich allein eine Ausgleichung finden konnten.
Der unmittelbare Einfluss Dante's auf Kunst und Künstler erledigt sich
aber damit nicht. Das gewaltige plastische Vermögen des Dichters musste
ebenso wie sein dramatischer Stil auf jene wirken. In dem Geschicke der
Dramatisiruiig wird Dante nur von Shakespeare übertroffen. Das 13. Jahr-
hundert hatte mit seinen geistigen und politischen Kämpfen die Menschheit
in eine ungeheure Spannung versetzt: aus ihr löst sich wie von selbst der
dramatische Charakter der Kunst, wie wir ihn bei Niccolo Pisaiio und Giotto
wahrnehmen, los; der Mann aber, der hier das lösende Wort gesprochen und
die dramatische Coinposition, auf welche sich jene Künstler instinctiv liiii-
getrieben sahen, durch sein Beispiel zum Postulat der Zeit gemacht hat, ist
doch Dante. Er hat zu allgemeiner Giltigkeit erhoben, was jene geahnt, so
dass wir jetzt ein doppeltes Gesetz statuiren können, welches sein Geist der
italienischen Kunstwelt vorschrieb: einmal das der festen und sichern
Charakteristik, dann das der dramatischen Lebenswahrheit. Mit dem einen
und dem andern war sowol der typische traditionelle Charakter der alten
kirchlichen Kunst als der ausgeartete und zu lebloser Starrlieit herabgesunkeno
Byzantinisinus überwunden.
All dem fügte der Genius des Dichters eine dritte Wohlthat hinzu.
Ihm ist es zu danken, wenn die Früh- und Hochrenaisance bis zu
Raffaels Ende jenen Ideenreichthum bewahrt hat, der auf den Traditionen
und dem Geiste der altchristlichen und mittelalterlichen Zeiten beruhte. Nach
1520 versinken diese Ideale: die Schönheit der irdischen Erscheinungswelt
wird ausschliesslich mehr betont. Eine beklagenswerthe Ideenarmut stellt
sich ein, statt der Gedanken malt man Empfindungen, und die Kunst dient
endlich nur mehr dem Genuss. Indem die grösste nationale Dichtung Italiens
aus der Tiefe des religiösen Bewusstseins schöpfte und nicht zu einem pro-
fanen oder fremden Stoff griff, bewahrte die Commedia die italienische Welt
davor, die Probleme des Lebens anders als im Zusammenhang der religiösen
Idee anzusehen; sie legte die Richtung auf die geistige Welt und den Vor-