Buch.
Zweiundzwanzigstes
Fra LiPPO
Lippi.
willen die ideale Seite fallen zu lassen, hat später Michelangelo gezeigt. Es
ist, als 0b der Naturalismus in diesen Meistern der Mitte des Quattrocento
seine Sturni- und Drangperiode durchzumachen hatte, ehe er sich unter der
Hand der Lionardo und Michelangelo abklären konnte. Ein Meister, der nicht
wenig zu dieser Verweltlichung der Auffassung beigetragen, war Lippo (Fra
Filippo di Tommaso) Lippi (ca. 1406-1469) mit seinem graziösen und stellen-
weise schon scandaliüsen Naturalismus. Dieser Karmelitermönch, den seine
abenteuerlichen Geschicke und seine frivole Lebensführung1 weit von seinem
klösterlichen Berufe abführten, war eine Zeitlang der populäre Maler des
15. Jahrhunderts, der ausgesprochene Liebling der Medici: Vasari erklärte
ihn als grössten Meister seiner Kunst im Quattrocento, selbst Michelangelo
war sein grosser Bewunderer. Man
i"; i. wird ihm das Verdienst lassen
"f" müssen, in seinen Tafelbildern eine
jyj '31" T
e; MM, w. grosse lNeuerung emgefuhrt zu
j wer? " "i f; kji haben: die Abtönung von Licht und
I, Ä Schatten, die Verschmelzung der
v, et i, Uebergange, kurz: das, was man
- Y Modulation nennt und worin später
_ 1-; ä" Lionardo das Wesen der Malerei
AT . "ign- _l erblicken sollte. Mit diesem Schritt
j; 2' f wurde wenigstens auf dem Gebiet
tflhfxäf "7 der Farbe der rohe Naturalismus
, v 511„" l der Castagno und Pollajuoli über-
; wunden und eine bessere Wendung
j F J eingeleitet. Welche Erfolge der
; Meister damit errang, zeigen die
viel bewunderten Werke im Pitti
"A (Nr. 338: ltundbild der sitzenden
v Madonna mit der Wochenstube und
der Heimsuchung), in der Akademie
(Nr. 41: Krönung der Madonna mit
h: "v? vielen Bernhardinermönchen und
' Heiligen, Fig. 55), den Ufüzien
(Nr. 1307: Madonna mit dem
Fxg. 56. Fra FIlIppO Lippi, Madonna mit Kind. Uflizien
zu Florenz. (Phot. Alinari.) von Engeln emporgetragenen lund,
Fig. 56). In diesen Madonnenbildern
wird der traditionell-kirchliche Typus schon fast ganz verlassen. Die Madonnen-
köpfe sind meist Porträts der Person, welche die Leidenschaft des Malers gerade
fesselte. Der Kopf des himmlischen Vaters hat nichts Ideales mehr, die rund-
köpflgen Engel mit ihren phantastischen Costümen und ihren firisirten Haar-
locken sind wohlbekannte, anmuthige und schelmische Florentiner Erschei-
nungen, die uns Stunden lang bezaubern können. Aber es leuchtet aus ihrem
Antlitz kein Strahl himmlischer Seligkeit: wo sie auftreten, einzeln oder in
Gruppen, denkt man immer an die Scharen jugendlicher Bengel, welche zu
Carneval über den Domplatz ziehen, um irgend eine Espieglerie auszuführen.
1 Die Entführung der Nonne Lucrezia
Buti. die ihm in Prato als Modell sass (1458),
ist doch wol ein Factum, wenn Butfs Tochter
auch in einer Urkunde Spinetta genannt wird.
Vgl. CAVALCASELLE III 65 und MILANESI da-
selbst. GAYE Cartoggio I 180.