Buch.
Zweiundzwanzigstes
Kirche eindringen zu lassen. Es war meines Erachtens eine Verirrung und
eine Quelle schwerer Verwirrung, dass man im 15. Jahrhundert vermeinte,
mit dem Studium und der Nachahmung der Antike auf andern Gebieten auch
die ganze Formensprache der römischen Architektur auf das Gebiet der mit
der Ausbildung und den Gesetzen des Cultus so eng zusammenhängenden
Kirchenbaukunst anwenden zu müssen; genau dieselbe Verirrung, Welche
Urban VIII dazu führte, in seinem Brevier die altchristlichen Rhythmen durch
antike horazische Versmasse zu ersetzen und damit den altchristlichen und
mittelalterlichen Poesien ihren ganzen wundersamen Zauber und ihre unver-
gleichliche Innigkeit zu rauben. Wir können uns gewiss eines in horazischem
Metrum gedichteten Epigrammes oder einer Ode bei Klopstock oder Platen
erfreuen, aber wir werden diese Productionen doch nicht als das für unsere
Nationallitteratur Massgebende erklären wollen. So mag man sich der
Renaissancekirche erfreuen, und so soll man Niemanden in dieser Freude
stören: aber es wird doch die Zeit kommen, wo man auch diese glänzende
und liebenswürdige Schöpfung als etwas für die kirchliche Tradition Fremd-
artiges, den nordischen Völkern äusserlich Zugebrachtes in das richtige Licht
zu setzen Wissen wird.
VIII.
Sieg
der
11611611
Richtung
in
der Blalerei. Volles
und der Antike.
Einrücken
des
Realismus
Masaccio
und
Masolino.
Was Brunelleschi und Ghiberti für Baukunst und Plastik der Renaissance
gewesen, das ist, an ihnen emporgewachsen, für die Malerei Masaeeio
(eigentlich Maso di Ser Giovanni da Castello S. Giovanni in Valdarno, geb.
1401 oder 1402, gest. 1428) geworden. Zwischen Giotto und Fra Bartolommeo
oder, wenn man Will, selbst Itaffael steht er als wichtigstes Mittelglied und
als eigentlicher Begründer des Realismus in der Malerei. Dass auch er nicht
unvermittelt kam, ist zweifellos; dass er, wie schon Vasari sah, den Spuren
Brunelleschfs und Donatellds folgte, ist gewiss. Sehr fraglich aber ist sein
Verhältniss zu Masolino da Panicale (Tommaso di Fino, geb. 1385 zu
Florenz, gest. um 1447), dessen Arbeiten im Carmine er nach Vasari über-
nommen haben soll und den man vielfach als seinen Lehrer bezeichnet hat.
Die Controverse, welche darüber schwebt und welche sich nicht bless auf den
Antheil beider Meister an den Fresken der Brancacci-Kapelle im Carmine zu
Florenz, sondern auch auf diejenigen in der Katharinenkapelle von S. Clemente
in Rom erstreckt, trat durch die 1843 erfolgte Aufdeckung der Fresken im
Chor der Collegiatkirche und im kleinen Baptisterium in dem Burgllecken
Castiglione d' Olona bei Varese in ein ganz neues Stadium 1. Die Decken-
1 Für Castiglionc d'OIona vgl. zunächst
Fa. PELUSO La chiesa di Castiglione e Ie
opere d'arte ehe contiene. Mil. 1874.
Dnsao SANT" AMBROGIO II Borgo di Castiglione
OIona presso Varcse, ill. art. con 50 tavole.
Mil. 18-53. ZAHN Jahrb. f. Kunstw. II (1869)
155 f. LÜBKE ebd. III 280 f.; Gesch. d.
ital. Mal. I (1578) 285. WOLTMANN Gesch.
d. Mal. II 143. Für die gesannnte Streit-
frage: REUMONT bei ZAHN Jahrb. f. Kunstw.
III 75.- Cnowß u. CAVALCASELLE II 95 f.
MILANESI Scritti p. 285 u. Giorn. stor. degli
arch. tosc. IV 192. THAUSING Zeitschr.
f. bild. Kunst XI 225. WICKHOFF cbd.
XXIV 301. v. FABRICZY Archivin storico
delP arte 1889, p. 381. MÜNTZ Renaissance
I 587; II 559. Zuletzt und vor alleln das
Hauptwerk über den Gegenstand: Scnmnnsow
Masaccio-Studien. Kassel 1895-1899. 5 Thoilc
mit Atlas. BURGKHARDT Ciccrono 1117 617.
Für beide Meister: VASARI II 263 sg.
2:57 sg.