Zweiundzwanzigstes
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verbreitet sich Durandus, indem er auf den Bischof Richard von Cremona
zurückgeht, welcher dasselbe ,ab excubiis et cvustodiis Levitamlaiz circa taber-
ozaculum, vel ab (Itrio saccrdotiuvn, wl a porticu Skvlomovzis ad te11zpZu-2n' ab-
leitet. Der Verfasser des ,Itationale' fügt hinzu: Joorro, sicut tenrplzenz trimn-
phantevn (Zesiqnat Ecclesiam, sie clazcstruvn coelestenz signißccet paradisuwf.
Die von demselben Durandus (I 8, 21) erwähnte Ausmalung der Kirchen mit
der Scene des Paradieses, durch welche die Gläubigen angelockt, und die der
Hölle, durch welche sie mit Furcht vor der Sünde erfüllt werden sollten, wird
sich zunächst gerade auf das Atrium und dann auf das Claustrum beziehen.
Demgcmäss ist durchaus verständlich, weshalb die Malereien im Pisaner Campo-
santo mit den Schrecken des Todes und der Darstellung der letzten Dinge
Gericht, Himmel und Hölle beginnen. Das Leben der Anachoreten kann als
eine weitere Ausführung oder Epexegese dessen betrachtet werden, was, im
Gegensatz zu dem fröhlichen, aber den Schrecken des Todes gänzlich unter-
worfenen Weltleben, im ersten Gemälde bereits angedeutet war. Eine Reihe
weiterer Bilder ist der Legende von Localheiligen gewidmet, an denen sich
der patriotische Sinn der Pisaner erfreute; sie sind hier gewissermassen ein
Einschiebsel, ein Pentimento. Mit der Darstellung der Geschichten Hiobs wird
der Zusammenhang mit dem Zweck des Gebäudes wieder aufgenommen. Im
September, sagt Durandus (VI 1, 17), liest man den Hiob, Tobias, Esdras,
Judith, Hester, ,gzez'a hi aclversa sustizzuerunt, et Ecclesia in fine mzmdi ad-versa
omnia pro Domino tolerabitÄ Esther und Judith erscheinen hier an der west-
lichen Schmalseite. Man darf in diesen Scenen eine Reminiscenz der alt-
christlichen Uebung erblicken, welche in der Zeit der Verfolgung den Gläubigen
mit Vorliebe jene Darstellungen aus dem Alten Testament an den Wänden
der Katakomben bot, die geeignet Waren, den Muth und das Gottvertrauen
der Gemeinde zu stützen. Die Ostwand bietet mit den Passionsscenen, der
Kreuzigung und Auferstehung den Abschluss der ganzen Decoration, deren
durchschlagender Gedanke doch immerhin derjenige der Ecclesia patiens, im
Gegensatz zu der dem Langhaus und dem Chor der Kirche zugewiesenen Ver-
anschaulichung der Ecclesia militans und triumphans, sein wird. Wie aber die
Menschheit von Anbeginn der Schöpfung an auf diesen Abschluss hingeführt
wurde, will offenbar die nördliche Längswand zeigen. Sie beginnt mit der
Erschaffung der Welt und gibt mit Ausnahme der zwei letzten Scenen
(31 und 32: Jericho, Goliath; Königin von Saba) nur solche aus der Genesis.
Wer die grosse Bedeutung kennt, welche die Genesisbilder in der altchrist-
liehen und frühmittelalterlichen Kunst (vgl. I 456. 470) gehabt haben, wird
sich kaum der Annahme verschliessen können, dass auch hier eine An-
lehnung an die frühere Uebung platzgriff. Die Genesis wurde immer noch,
wie heute, in der Septuagesima gelesen, wie Durandus sagt: Septuagesima
enim tempus nostrae captivitatis et poenae et culpae designat, de qua m-ystice
ad Jerusalem redire debemus (VI 3, 15). Die Genesis aber wird, fügt er
weiter hinzu (VI 25, in dieser Zeit gelesen, weil sie uns jnstruit
in initialibus poemtentiae, in fiele scilicet et t-imore, quae szmt essentia poenitentiad.
Die Ausführung, welche Durandus dazu gibt, hebt fast dieselben Scenen her-
aus, welche uns an dieser Nordwand vorgeführt werden.
So wäre denn der geistige Inhalt der Camposanto-Malereien im grossen
und ganzen klargestellt. Es bleibt nur zu sagen, dass die Ausführung eine
sehr ungleiche war. Dem tiefen religiösen Ernst, der gewaltigen und er-
greifenden geistigen Kraft, welche aus den ersten Bildern und der Schilderung