Volltext: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit: Renaissance und Neuzeit (Bd. 2, Abth. 2, Hälfte 1)

Z w eiundzwanzigstes 
Buch. 
Die Ana- 
choreten. 
Seligen lehnt sich an die traditionelle Darstellung insofern an, als auch hier, 
zur Rechten des Richters, von dem Täufer angeführt, die verschiedenen Stände 
der Seligen angedeutet sind. Aber im ganzen sind beide Versammlungen, 
wie schon von Giotto in Padua, freier behandelt, und die ganze untere Partie 
kann in ihrer Behandlung als Uebergang zu derjenigen betrachtet werden, 
welche später Fra Angelieo und Fra Bartolomlneo befolgt haben. 
Ungleich geringer in Erfindung und Ausführung ist das dritte Fresco, 
die Hölle  welche Vasari dem Bernardo Orcagna zuschreibt und die 
Dieser gemalt haben soll, nachdem Andrea Pisa verlassen, um in S. Croce 
zu Florenz ähnliche Werke wie hier im Caniposanto zu schaffen, bei denen 
indes die Begegnung der drei Reiter mit Macarius und die Einsiedler auf 
dem Berge weggelassen waren. Dies Inferno, durch Uebermalungen 1374, 
1462 und 1530 total verändert, ist auch in seiner frühern, uns durch einen 
Stich bei Morrona erhaltenen Gestalt ein Werk von grosser Roheit, heftig und 
würdelos, vor allem in der scheusslichen Figur des Lucifer. Dass, wie Vasari 
behauptet, die Darstellung sich an Dante anlehnt, ist eben so oft bejaht wie ge- 
leugnet worden. Die Abtheilungen der Hölle stimmen nicht mit den neun Kreisen 
der Commedia, doch erinnert an diese die Strafe der Hauptsünden. Jedenfalls 
könnte nur von einer ganz allgemeinen Uebereinstimmung gesprochen werden 1. 
Mit dem Inferno der Cappella Strozzi hat das Bild gar nichts gemein und es 
unterscheidet sich von ihm schon durch die horizontale Theilung der Schichten. 
Die Anachoreten (4) bilden die Fortsetzung an der Südwand. In etwa 
dreissig Scenen ist oben die Legende des hl. Antonius, des grossen Eremiten 
(sein Besuch beim hl. Paulus, dessen Bestattung, die Anfechtungen des hl. An- 
tonius durch die Dämonen); in der zweiten Schichte diejenige der hl. Büsserin 
Maria Aegyptiaca (S. Zosimus reicht ihr die Oommunion), des hl. Macarius 
Romanus (den der Teufel in Gestalt eines Weibes besucht), der hl. Onuphrius 
und Paphnutius; in der dritten Reihe die Legende der hl. Marina und anderer 
Einsiedler und Mönche in ihren Gefährnissen und Versuchungen geschildert 2. 
Die Schönheit und Lebensfülle all dieser Gruppen, insbesondere der Communion 
der hl. Maria Aegyptiaca und des Besuches Antonius, bei Paulus, wird von 
allen Beurteilern ebenso gepriesen wie die geschickte Behandlung der Thiere: 
auch die Anordnung und Verbindung der einzelnen Gruppen verdient alles Lob. 
Schon Vasari (I 478) hat das Gemälde dem Pietro Lorenzetti zugeschrieben 
und die ßi-vi afetti" und ßella aftitudinä der heiligen Väter gerühmt. Caval- 
caselle (II 301) hat demnach keinen Anstand genommen, dies Urteil zu be- 
stätigen, indem er Lorenzettfs Aetstudium, die Festigkeit seiner Hand und 
sein ausserordentliches Formverständniss und seine Gewandbehandlung wieder- 
fand, während neuestens Supino das Charakteristische an den Figuren Pietro 
Lorenzettfs, die langgeschlitzten, gedrückten Augen, die Höhe und Schlankheit 
seiner Figuren, bei dem Meister des Camposanto Vermisst. Auch hier wird 
man ein Non liquet sprechen müssen. 
Eine Ergänzung des Gemäldes bilden die von Antonio Veneziano her- 
rührenden unter demselben bei dem  Grabe des Giovanni Gambacorti an- 
gebrachten fünf Eremiten. 
Zuverlässiger als die Zuweisung der Anacoreti an Lorenzetti dürfte Vasarfs 
Angabe sein, dass Simone di Martino über der innern Eingangsthüre eine 
' Vgl. meinen ,Dante' S. 650. 
2 Mehrere Scenen dieser untersten Reihe 
sind noch sicherer zu bestimmen. Man wird 
dafür auf die ,Hist. Lausiacaß CASSIAN und das 
bei RoswEYn (Vitae Patr. ll. X, ed. Lugd. 1617) 
gesammelte Material zurückgehen müssen.
	        
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