italienische
Frührenaissance.
unter denjenigen gefunden worden, welche im Camposanto oder überhaupt in
der Stadt Pisa beschäftigt waren 1. Dies ist nur ein negatives Argument,
aber es hat immer eine starke Beweiskraft gegen die Autorschaft eines dieser
Künstler an den Fresken des Camposanto. 5. Es bleibt daher vorläufig nur
die stilkritische Betrachtung übrig, welche, wie wir gesehen haben, insofern
zu keinem abschliessenden Resultat gelangt ist, als die Einen vorwaltend
sienesische, die Andern florentinische Schule in den Bildern finden wollen,
während eine dritte Meinung eine pisanische Richtung annimmt, deren Ur-
sprung und Charakter vorläufig noch höchst problematisch erscheint. Orcagna's
Ansprüche scheinen immerhin noch am besten begründet zu sein.
Wir gehen zu den folgenden Bildern über, unter denen das Weltgericht Das Welt-
inhaltlich und stilistisch im nächsten Zusammenhang mit dem Trionfo steht. gcüd";
Das Giudizio (2) verrath in seiner obern Zone noch die Abhängigkeit von
der traditionellen Darstellungsweise, wie sie der byzantinischen und abend-
landischen Kunst des frühern Mittelalters eigen ist (vgl. II 1, 373 ff). Christus
und rechts von ihm die hl. Jungfrau sitzen noch auf der Iris, umgeben, jede Person
für sich, von der ovalen Mandorla. Der Herr deutet mit der Linken auf die
Wunde der Brust, die Rechte ist erhoben, wol um die Wunde zu zeigen. Sechs
Engel mit den Marterwerkzeugen schweben in der Höhe, rechts und links sitzen
die zwölf Apostel. Eine viel freiere und gänzlich dem Rinascimento angehörige
Entfaltung zeigt die untere Partie des Bildes, in deren Mitte vier Posaunen-
engel, in der Gestalt des Kreuzes gruppirt, auf den Spruchbändern das
Schicksal der Geriehteten verkünden (Vcmte benedicti Be maledicti u. s.
Auf der Platea unter dieser Gruppe vollzieht sich die Scheidung der Geister.
Das Coemeterium hat mit seinen quadratischen Oeffnungen die Einrichtung,
die man vielfach auf italienischen Kirchhöfen, heute noch in S. Lorenzo
fuori le mura zu Rom, beobachtet. Den Loculi entsteigen die Seelen, deren
Schicksal der Erzengel Michael entscheidet und durch andere Engel ausführen
lässt. Einer derselben schleift einen Auferstandenen mit Gewalt auf die Seite
der Verdammten, ein Anderer führt einen Begnadigten von der Seite der Un-
seligen zu den Seligen hinüber. Die Anordnung der Verdammten und der
1 Ich habe im Jahre 1877 die Pisaner
Archive in dieser Richtung, soweit es mög-
lich war, durchforscht: nirgends hat sich
eine Erwähnung Orcagnzüs oder der Loren-
zetti vorgefunden. Auch in den mir von
Tanfaili, dem damaligen Director des Staats-
archivs, mitgetheilten, von ihm im Lauf langer
Jahre zusammengestellten Auszügen aus
seinem Archiv sind beider Namen nie ge-
nannt. Die einzigen mir aufgestossenen No-
tizen über den Besitz Piszüs an Fresken
dieser Künstler betreffen weder ihren Auf-
enthalt in der Stadt noch ihre Beschäftigung
am Camposanto. Es sind diese: Arch. del
Comune di Pisa, Istanze, relazioni ecc., iilza
2091, wird als aus der Sammlung des Canoni-
cus Sebastiano Zucchetti 1796 in die der Opera
del Duomo übergegangen ein 2'fs Braccie
hohes Bild (quadro) des Ambruogio Lorenzetti,
darstellend S. Romuald und S. Bonifaz, er-
wähnt. Ebenda sieben quadretti des Andrea
Orcagna, die aus der nämlichen Collection
1796 in die Opera del Duomo gelangten und
im Inventar unter Nr. 35-41 beschrieben
waren. Als die hier dargestellten Gegen-
stände werden angegeben: 1. eine Kreuzi-
gung, mit Maria, Johannes, den drei Marien,
Magdalena und Longinus; 2. der Tod des
hl. Bernhard, welches Bild laut Grassi nach
Paris kam; 3. der hl. Bernhard mit einem
Löwen und drei Mönchen unter einem Por-
ticus; 4. ein Heiliger, der einem im Bett
liegenden Alten Brod zuwirft; 5. eine hl. Agnes
mit Genossen, dazu die Darstellung der drei
Fürsten zu Pferde, welche als Oastruccio
Oastracane, Herr von Lueea, Ludwig der
Bayer und Uguccione della Faggiola bezeich-
net werden; 6. S. Ranieri, S. Bona und
S. Johannes; 7. Michael der Erzengel, die
selige Gherardesca und S. Ranieri. Die
fünfte Scene mit der Cavalcade vom Trionfo
wäre jedenfalls die interessanteste. Was ist
aus diesen Bildern geworden? Es lohnte
sich der Mühe, ihren Schicksalen nachzugehen.