Frührenaissance.
italienische
Bilde die grossartige monumentale Zusammenfassung und Darstellung der ge-
sammten scholastischen Moralphilosophie, der Lehre vom gegenwärtigen Leben
in seinem Gegensatz als weltlich thätiges und geistlich beschauliches Leben,
und der Lehre vom künftigen Leben in seinem mahnenden Gegensatz als Ver-
dammniss und Seligkeit' sieht, so kann man nur bedauern, dass die offenbare
Unkenntniss der theologischen Terminologie einen hochverdienten Forscher zu
einer so total verfehlten Auslegung verleiten konnte 1.
Die Frage nach dem Urheber dieser und der zunächst folgenden Fresken
gehört zu den am meisten umstrittenen der Kunstgeschichte. Vasari hatte
den Trionfo della morte, das Giudizio und das Inferno als Werke des Andrea
Orcagna beschrieben und Pietro Lorenzetti als den Maler des Lebens der
Anachoreten bezeichnet. Crowe und Oavalcaselle glaubten auf Grund der
stilistischen Uebereinstimmung all dieser Werke sie sämmtlich für Pietro Loren-
zetti in Anspruch nehmen zu müssen, Während eine Angabe des Anonymus
Magliabecchianus (f. 48, bei Fabriczy S. 37: ßcrnardo pittore, fu discepolo di
Giotto e operö assai in Firenze et in altri Zuoglzi: in Pisa- dipinse la chiesa
da" s. Paula a ripa d'Arn0 et in Campo Same Z0 infervzo") Milanesi veranlasste,
an Bernardo Daddi zu denken. Die Autorschaft Orcagnas, lange Zeit gänz-
lich aufgegeben, wurde dann von Dobbert (1881) wieder vertheidigt, indem
auf die Uebereinstimmung mancher Details mit den Fresken Orcagnais in
S. Maria Novella und ehemals in S. Croce befindlichen Werken aufmerksam
gemacht wurde. Hatte man es jetzt mit zwei entgegengesetzen Ansichten zu
thun, von denen die eine in den Pisaner Fresken einen entschieden floren-
tinischen, die andere einen ebenso ausgesprochenen sienesischen Zug linden
wollte, so trat eine dritte Richtung der Beurteilung für den specifisch pisani-
sehen Charakter der Bilder ein. Bei uns hat H. Thode zuerst auf die Ver-
wandtschaft des Meisters des Trionfo della morte mit Traini hingewiesen und
l Die ganze Interpretation Hettners be-
ruht auf dem Missverständnisse, welches
(S. 129) vita actiea gleich dem Weltleben
der Gottlosen, vita contcmplatvizra gleich dem
fromm beschaulichen Leben der guten Christen
setzt. Prof. Hettner hat mir gegenüber, nicht
lange vor seinem Tode, seine ganze Auffassung
allerdings als verfehlt erklärt, nachdem ich
ihm die wirkliche Bedeutung dieser Termini
in der mittelalterlichen Sprache nachgewiesen
und gezeigt hatte, dass die doppelte Art der
Bethiitigung des christlichen Lebens (Maria
und Martha!) mit unserm Fresco gar nichts
zu thun hat. Ich muss das oonstatiren, da
die Hettnersche Erklärung des Trionfo nicht
bloss in die Reiselitteratur (vgl. GsELL-Frms
Mittelitalien, 4 Lpz 1886, S. 544) überge-
gangen ist, sondern auch von WOLTMANN
(I 462) mit gewohntem Mangel an Sach-
kenntniss nachgeschrieben wurde. Jeder
Theologe weiss, worin der Unterschied der
beiden vital: liegt. Zum [Teberiiuss bemerke
ich. dass dieser Gegensatz auch in der Kunst
so klar als möglich herausgestellt wird. S0
zeigt der Codex S. Elisabethae zu Cividale
auf dem Schlussbild in zwei Scenen die Be-
schauung und die Werke der Nächstenliebe
nebeneinander gestellt mit der Beischrift: Cruz.-
tevnplcrtiva vita: ista vacans Zustrat et mysfica
anu-nia gustat ; zu der Ertheilung der Almosen
aber: Activa vila: pascerc iv-izevzos solrßt hvaoc
vcstireqzze nudos. (Vgl. Swononn Miniaturen
aus dem Psalterium der hl. Elisabeth, Wien
1898, S. 17, Taf. Lll.) Auffallenderweise
ist Allen, welche bisher über diesen Gegen-
stand schrieben, die merkwürdige, nur in dem
ausserst seltenen Drucke des NICOLO BRENTA
DA VARENA (Venetia, al traghete de San Pole
in eorte Pitriani, mm. 1492) und in zwei Flo-
rentiner Drucken von 1492 bekannte Schrift
des Frate U00 PANCIERA [angebL in der Tar-
tarei gest. 1322] ,Della vita activa et con-
templativa' entgangen. Hier werden (im
Prolog) fünf Stadien ilnterschieden, ,negli
quali conversano le virtuose creature: el
primo sie aetivo eorporale, el seconclo activo
mentale; terzo sie essere insieme activo cor-
porale e mentale; quarto contemplativo;
quinto e essere insieine eerporale activo e
contemplativoi Der ganze Traetat, der nur
wenige Jahrzehnte vor den Compositionen
der Spanischen Kapelle und des Cmnposanto
entstanden ist, wäre für die Erklärung dieser
Bilder noch durehzuarbeiten.
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