Zweiundzwzlnzigstes
Buch.
Für das gesammte kirchliche und culturelle Leben des Mittelalters war
es von höchster Bedeutung, dass seit Anfang des 13. Jahrhunderts die grossen
alten, aristokratischen Orden der Benedictiner und ihrer Verzweigungen all-
mählich in den Hintergrund treten und die neu gegründeten zwei grossen Bettel-
orden in Leben und Wissenschaft die Führung übernehmen. Wir haben bereits
oben (II 1, 167 f.) die Stellung der Mendicanten zu der kirchlichen Architektur
aufgewiesen und auch mit einigen Worten ihres Verhältnisses zur Kunst im
allgemeinen gedacht.
]_)ominjgangl' Sowol Franciscaner als Dominicaner, namentlich aber die Ersteren, sind,
Gegensatze gegen die Benedictiner, Institutionen von ausgeprägt bürger-
lichem, selbst demokratischem Charakter. Umschloss der Orden des hl. Bene-
dict mehr als ein halbes Jahrtausend hindurch vorzugsweise, vielfach ausnahms-
los, die aus den Freien hervorgegangene adelige Welt des Germanenthums, so
recrutirten sich die beiden neuen Stiftungen vorzüglich und auch fast ausschliess-
lich aus den mittlern und niedern Schichten der Gesellschaft. Die Stiftung des
hl. Franciscus insbesondere stand dem Herzen des Volkes unendlich viel näher
als irgend ein anderes kirchliches Institut: kein Wunder, wenn aus dem Munde
S. Francescds und der Minoriten die italienische Volksseele herausspricht;
wenn ihr Sang sich wie das Lied der auffliegenden Lerche aus der Brust dieser
gottbegnadeten Sänger sieghaft loslöst und der unermessliche Aufschwung,
welchen diese ganze Bewegung der Menschenseele zugebracht, sich ebenso in
den unsterblichen Poesien eines Jacopone da Todi wie in den von Francescols
Geiste angewehten Terzinen Dante's und den von demselben Geiste erfassten
und dem Höchsten zugeführten Gebilden der toscanischen und umbrischcn
Malerei auslöst. Nie hat ein anderes kirchliches Werk einen so mächtigen,
hinreissenden Impuls nach der Seite der schönen Künste, der bildenden wie
der tönenden, ausgeübt. Es konnte selbstverständlich nicht fehlen, dass der
Fralnciscanerorden selbst einen persönlichen Antheil an dieser Bewegung nahm
und ein höchst achtbares Contingent an ausübcnden Künstlern stellte. Gleich-
wol hat ihn in dieser Hinsicht der Predigerorden übertroffen. Hettner hat
das Dictum hinausgeworfen, ,es habe den Dominicanern die Poesie der Legende
gefehlt", und Hr. E. Frantz (II, 59) hat ihm das unbesehen nachgeschrieben,
indem er hinzufügt: ,dem Orden der Prediger fehlte jene Poesie der Legende,
das volksthümliche Element; darum suchte er als Verwalter der Inquisition
und Kirchenzucht in frostigen Allegorien Ersatz, welche das Lehrsystem und
die Ordensthatigkeit verkörpern solleni
Es ist immer etwas Missliches um so allgemeine Behauptungen: auch
diese ist nur in einem beschrankten Masse zu rechtfertigen.
Der Orden des hl. Dominicus war zunächst keine italienische Schöpfung.
Er kam von aussen, und sein ganzes Wesen trug den Stempel einer Nation,
die in jahrhundertlangem bitterm Kampfe mit den Mauren das militante Ele-
ment ausgebildet hatte, aus welchem heraus sich in jenen Tagen die Inqui-
sition entwickeln und der ganze Zuschnitt des spanischen Staatswesens ableiten
sollte. Auch die Bestimmung des Ordens war eine verschiedene. Wie der
Name der Brüder es ausdrückte, waren die Iiratres Praediczttores in erster
Linie auf die Pflege des Predigtamtes, damit also auch der kirchlichen Wissen-
schaft hingewiesen, während die Stiftung des hl. Franz ursprünglich zunächst
nur darauf ging, mitten im Volke demselben das Beispiel vollkommenstcr Los-
schälung von den Gütern dieser Welt und ungetheilter Hingebung an die Auf-
gaben der Nächstenliebe zu geben. Der Minoritenorden musste daher von