Buch
Zweiuudzwzmnzigstes
Beccafumi.
politischen Zersetzungsprocesses verzehrte sich der Rest dessen, was von
künstlerischem Schaffungsvermögen noch in Siena übriggeblieben war. Die
Maler nahmen einen zu thätigen Antheil an dem Treiben der Factionen: kein
YVunder, dass sie steigender Verrohung anheimßelen und schliesslich völlig
der Inspirationen entriethen, welche Siena's Schule gross gemacht hatten. Zu
diesen demokratischen Künstlern zahlen Benvenuto di Giovanni, einer
der Mitschuldigen an den Greuelscenen von 1483; sein Sohn Girolamo di
Benvenuto, beide in ihren Typen fast von gleicher roher und abstossender
'I'rockenheit; Giovanni Cini, der durch seine Freiheitsfahnen den Fanatismus
seiner Landsleute belebte. Interessanter ist Bernardino Fungai (gest.
1516), der mit einigem Erfolg den Versuch machte, das bisher von den Sienesen
beiseite gelassene landschaftliche Element einzubürgern. Der orthodoxe Ge-
schmack der Schule hatte bisher den Goldgrund als unzertrennlich von der
religiösen Malerei angesehen. Fungai zerbrach diesen Kanon zuerst, allerdings
zu einer Zeit, wo auswärtige Einflüsse schon in die Stadt eingedrungen waren
und der Abgeschlossenheit ihres Kunstlebens ein Ziel gesetzt hatten. Seit 1498
hatte Luca Signorelli in der Augustinerkirche zu Siena gemalt (Grabkzipelle
der Bichi), dann war Perugino gekommen (1508), Pinturicchio hatte bereits
1502 durch seine Fresken in der Libreria, Welche den Ituhm Enea Silviois
verkündeten, die Sienesen entzückt: bald sollte Sodoma kommen, dessen
magischer Pinsel lombardische und raffaeleske Einflüsse an die Stelle der ein-
heimischen Traditionen setzte. Wie die Piccolomini den Pinturicchio und dann
Michelangelo berufen hatten, so beriefen die Petruzzi andere Umbrier, um ihren
Palast zu schmücken. Sienesen der Herkunft nach, aber freilich der heimat-
lichen Schule entfremdet, sind die beiden ausgezeichneten Baumeister Fran-
cesco di Giorgio (gest. 1502) und Baldassare Peruzzi, der auch als
Maler nicht unbedeutend war, wie das die in der Anordnung hervorragend schönen
Gemälde in S. Maria della Pace zu Rom (Darstellung Mariae im Tempel) be-
weisen. Girolamo del Pacchia, der zu gleicher Zeit mit Peruzzi nach
Rom ging, hatte die Schule seiner Vaterstadt Siena aufgegeben, um sich in
Toscana mit Mariotto Albertinellfs Manier zu identificiren: ein roher, rein
naturalistischer Maler, von dessen Leistungsfähigkeit nur die Geburt Christi
und die Verkündigung in S. Bernardino einen bessern Begriff geben. Eine
kräftigere Veranlagung besass sein Clubgenosse Pacchiarotto, der in den
letzten Jahrzehnten seines Lebens ganz in dem Treiben rasender Parteien
unterging, den Pinsel mit dem Säbel vertauschte und seine eigene Wohnung
zu einer ,Camera anlentä umwandelte, aus der er sich wie ein wüthendes
Thier zu allen Thorheiten herausstürzte. 1539 aus Siena verbannt, starb er
gleichwol 1540 in seinem eigenen Bette. Ein solches Leben erklärt die wilde
Physiognomie in Pacchiarottois Köpfen. Ein anderer Meister derselben Zeit,
Matteo di Balducci, schwankt zwischen der Nachahmung Pinturicchids
(Himmelfahrt Mariae in der Borghesischen Kapelle in S. Spirito) und derjenigen
Sodomas; endlich verpflanzte Beccafumi die Manier Michelangelds nach
Siena, wohin sie vielleicht am allerwenigsten passte. Beccafumi kann eines
der ersten und erlauchtesten Opfer jenes Manierismus genannt werden, welchen
die lange und unbestrittene Herrschaft Michelangelds erzeugt hat: seiner viel-
seitigen und originellen Begabung konnte man ein besseres Schicksal wünschen.
Immerhin dürfte ihn Rio viel zu ungünstig beurteilen. Muss er doch selbst
zugestehen, dass Beccafumi in seiner hl. Caterina aus den besten Inspirationen
der heimischen Schule geschöpft hat, dass die Hauptfigur des Bildes von gross-