Buch.
Einundzwanzigstes
günstiger lagen. Das Zeitalter Abälards schien auf dem Wege, eine so starke
Erschütterung des Geistes herbeizuführen, dass daraus sich neuc und ungeahnte
Perspectiven ergeben konnten. Aber die grosse Scholastik verblühte, indem
sie dem 15. Jahrhundert wol ihre blormen, aber nicht mehr ihren Geist
binterliess. Mit, dem Verlust der politischen Freiheit seit dem 14. Jahrhundert
stellte sich in Frankreich eine retrograde Bewegung ein, welche der centrali-
sirenden Politik seiner Könige zu gute kam, aber den Geist tödtete, welcher
die Renaissance hätte gebären können. Umsonst hatte Abälard gebetet:
,u finibzes terrae ad te clumavi, (Zum anxiaretur cor meumf Jener Schlag eines
bewegten Herzens, aus Welchem die grosse That einer neuen Culturepoche
hervorgeht, kam den Franzosen des 14. Jahrhunderts abhanden; die Erbschaft
liel Italien zu.
Seine Ent- Eugene Müntz hat in seinem monumentalen Werke über die Renais-
sance (I 203) die classische Tradition, das Eindringen des Realismus, die Lehr-
mittel u11d die Lehrmethode der italienischen Künstler-Welt als constitutive
Elemente der Bewegung in den Vordergrund gestellt. Gebharts werthvolle
Untersuchungen wollen vor allem das herausstellen, was er die Jformation
de Vdme italiennä heisst (p. 227). Die Grundlage dieser psychischen Ver-
anlagung erblickt er in dem auf die Realität der Dinge direct losgehenden
Geist des italienischen Volkes (,sens träs juste des choses natuwellesf), welches weder
in seinem intellectuellen noch politischen Leben der leeren Abstraction jemals
Raum gegeben habe. Die germanische Welt hat sich von jeher, namentlich
auch auf dem religiösen Gebiete, in erster Linie mit den Ideen befasst. Für
den Italiener gewann frühzeitig alles feste, greifbare Gestalt. In der politischen
Arena treten die Consuln und Podestä der Städte, die Volksversammlungen,
bald die kleinen und grossen Despoten, in der kirchlichen Sphäre der Papst
auf: alles reale Gewalten, keine Abstractionen. Die modernen Bedingungen des
Handelsverkehrs treten uns zuerst hier entgegen. Das Pfandhaus, wie es
Bernardino da Feltro in Perugia zuerst aufgebracht und später Savonarola in
Florenz eingeführt hat; der Wechsel in seinen verschiedenen Formen; die Kunst
der Buchführung, wie sie von den venezianischen und Florentiner Kaufleuten
seit dem 13. Jahrhundert ausgebildet und lange Zeit in mustergiltiger Weise im
päpstlichen Haushalt geübt wurde: alles das sind Erfindungen des italienischen
Geistes nach der realsten Richtung des Lebens, der des Erwerbes. Es kamen
die frühzeitig so mächtig entwickelten municipalen und politischen Interessen
hinzu. Die kleinen, aber lebensfrohen und zielbewussten politischen Indi-
vidualitäten, welche sich in den zahlreichen Republiken gegenüberstanden,
weckten eine Reife politischen Urteils und patriotischer Gesinnung, die sich
selbst dem zarteren Geschlechte mittheilte: S. Caterina da Siena bietet ein
merkwürdiges Beispiel davon dar. Alle diese Verhältnisse bedingten ein
kräftiges Ausleben der Leidenschaften, namentlich der-Sinnlichkeit, wie es
uns schon Dante in zahlreichen seiner Episoden schildert. Fallen hier schon
starke Schlagschatten auf das sittliche Leben der Nation, so sind doch die
Elemente des dramatischen Lebens gegeben, ohne welche eine grosse Kunst
nicht zu bestehen vermag. Das Virtuosenthum mit seiner Ausbildung des
heroischen Mannweibes der Virago crudelrissima e di gran (mimo wie
sie uns Ginevra Bentivoglio und Oaterina Sforza darstellen, vollendet die
Seele der Renaissance, welcher Grössen- und Ruhmsucht, Einfluss der
Frauen, Freude an Geselligkeit und an heiterm Festleben ihre äussere Ab-
rundung gibt.