Soll die Renaissance als Schöpfung des italienischen Volkes laegriffen Das
werden, so muss ein Blick auf seine Eigenart, auf die Herausbildung seines
Charakters, auf die gesellschaftlichen und politischen Zustande der Zeit, um Volkes.
die es sich hier handelt, geworfen werden 1.
Die Eigenart des süditalienischen Naturells, in seiner gründlichen Ver-
schiedenheit von demjenigen der Norditaliener, kommt hier kaum in Betracht,
da der Süden nur einen untergeordneten Antheil an der Entwicklung der
Renaissance genommen hat. Aber auch trotz dieser Verschiedenheit des
Sicilianers und Neapolitaners von der nördlich des Liris wohnenden Be-
völkerung kann von einem einheitlichen Nationalcharakter der Italiener ge-
sprochen werden. Lassen sich in demselben bis zum 14. Jahrhundert noch
Züge entdecken, welche auf den starken Zusatz germanischen Blutes in den
ehedem von Griechen und Langobarden beherrschten Gebieten zurückzuführen
sind, so schlägt von da ab, seit Dante die geistige Einheit der Nation ge-
gründet, doch mehr und mehr das lateinische Element durch, wie es sich
unter dem Einflüsse klimatischer Verhältnisse und der nie ganz verjährten
Herrschaft ererbter Traditionen ausgebildet hatte. Dass der Mensch sich
unter dem südlichen Himmel bedürfnissloser und freier fühlte, dass sein Dasein
müheloser und mehr dem Genusse als der harten Arbeit hingegeben ist als das
des Deutschen und Angelsachsen, war die Quelle einer politischen Schwäche,
welche Italien selten erlaubte, über die Grenzen seiner Marken hinaus in die
Geschicke Europas einzugreifen, und welche, nach rasch verblühter Jugend,
seine Ohnmacht gegenüber den Grossstaaten des übrigen Continents bedingte;
nach der künstlerischen Seite waren diese Lebensbedingungen ein unermess-
licher Vortheil, der nicht bloss dem Individuum zu gute kam, indem es dem-
selben eine im Norden fast unbekannte Genussfahigkeit und Empfänglichkeit
für das Schöne sicherte, sondern auch der Gesammtheit eine Grazie und einen
Schönheitssinn schuf, wie kein anderes Volk sie besitzt und wie sie noth-
wendig war, sollte die schönste Blume des menschlichen Geistes sich aus
den Tiefen einer Volksseele abheben.
Französische Schriftsteller haben jüngst Frankreich als die eigentliche
Heimat der Renaissance erklärt. Wir werden sehen, dass diese Annahme auf
einer irrthümlichen Auffassung ihres Wesens beruht. Frei und ehrlich urteilt
darüber Emile Gebhart, indem er die Gründe aufsucht, weshalb die neue
Bewegung nicht in Frankreich, sondern in Italien zuerst eintrat. Freilich war
Südfrankreich mit seiner provencalischen Litteratur Italien in der litterarischen
Entwicklung Vorausgegangen. Aber es kam hier nicht zu einer Fortsetzung
dieser Entfaltung und zu einer analogen künstlerischen Bewegung. Die pro-
vencalische Litteratur war ebenso durch die Ketzerkriege und die Inquisition
wie anderseits durch die manichäischenTendenzen des katharisch-albigensischen
Geistes geknickt und zerstört worden Weder das Licht der antiken Bildung
noch die Führung einer geläuterten Wissenschaft kamen der Provence und
dem Languedoc zu Hülfe: eine grosse Kunst konnte hier nicht entstehen; aber
auch nicht nördlich der Loire, obgleich hier die Bedingungen überaus viel
' Üeber den Volkscharakter d. Italiener vgl.
die noch jetzt lesenswerthen Seiten bei H. Lmo
Gesch. v. ItalienI (Hamb. 1829) 28 ff. Seither
hat, abgesehen von Burckhardt und E. Müntz
a. a. 0., besonders GEBHART (Les origines de
1a Ren. p. 51 ss.) den Gegenstand behandelt.