Frührenaissance.
italienische
erst durch Alberti auf das richtige Mass reducirt wurde. Im Nackten ist
Giotto noch wenig geübt, doch gibt er seinen Gestalten eine breit geordnete
Draperie, natürlichen und einfachen Faltenwurf, im Gegensatz zu der stramm
anliegenden Kleidung der byzantinischen Figuren und den auf dem Schooss
derselben zusammenlaufenden, concentrischen Falten. In seinen Cruciiixen
(echte Werke von Giotto in Ognissanti, S. Marco, S. Felice in Piazza; viele
Schulbilder in Toscana zerstreut) hat der Künstler das Bestreben gehabt, der
Christenheit etwas Angemessenes und Weihevolles an Stelle der bisherigen
Werke zu setzen, Welche sich entweder durch die byzantinische Starrheit oder
durch einen Widerlichen Ueberschuss an Muskelformen und krampfhaften Be-
wegungen auszeichneten. Sein Typus ist indessen nicht mehr der des lebenden,
mit der Königskrone geschmückten Helden und Königssohns, sondern des in
sanftem Tode Dahingeschiedenen (vgl. oben II 1 325). Die Gesetze der Per-
spective hat auch Giotto kaum noch geahnt, und von Verkürzungen ist bei
ihm fast keine Rede. Zum Helldunkel linden sich nur leise Anfänge, die
lteiiexe fehlen ebenso fast ganz. In der Farbengebung beschrankt er sich
auf die Wiedergabe des Haupttons der Localfarben; Luft- und Farbenper-
spective kennt er noch nicht, die ganze Farbengebung ist monoton, die Land-
schaft höchst primitiv, dagegen stellt die ornamentale Decoration einen er-
heblichen Fortschritt dar.
Mit All dem aber erschöpft sich das nicht, was Giotto für die Kunst-
geschichte ist. In unserer Einleitung ist der Satz aufgestellt worden, dass
mit Dante und Giotto sich in Poesie und Malerei die Entdeckung der Natur
der Seele vollzieht, dass von jetzt ab innerlich Erlebtes dargestellt werden
will, der Künstler aus seiner individuellen Inspiration heraus arbeitet, damit
aber auch der lehrhafte Zweck und die fast ausschliessliche Verwendung über-
lieferter Typen und Formen zurücktreten (I 5). Wir haben anderwärts (Il 2, 22 f.)
aufgewiesen, welchen Antheil Dante's Kunstlehre und sein eigenes Beispiel an
dem sieghaften Durchdringen dieser neuen, individualistischen und dramatischen
Richtung hatte, mit der die moderne Cultur und Kunst eingeleitet wurden.
S0 hat sich in der That zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Scheidung der
Geister vollzogen. Das Alte stirbt langsam dahin und neues Leben entspringt
aus dem Vorgehen der beiden Geistesfürsten, die als Hüter am Eingang des
Rinascimento stehen.
Die
altsienesisclne
Schule
und
ihr
Ausgäng-
Hinter Florenz, Rom, Venedig treten Siena und Perugia an Bedeutung
und Anziehungskraft weit zurück; aber Lage und Geschichte geben beiden
einen unbeschreiblichen Iteiz und schaffen aus ihnen etwas durchaus Eigen-
artiges, Unvergleichliches 1.
lZur Geschichte der SiOIIOSOI Schule:
GAETANO MILANESI Documenti per 1a storia
dell' arte senese. 3 voll. Siena 1854-1856.
Ders., Scritti vari sulla storia dcl1' arte
toscana, Sicna 1873, bes. p. 11. 123 f.
VALLE Lettere Sanesi. 3 voll. Roma 1786.
R10 Bd. I. II. R. VISCHER in Zeitschr.
f. bild. Kunst X lf. SCHÖNFELD ebd. XV
293 (betr. Duccio). THODE Guido v. Siena
und die Kunst des 13. Jahrh. (Repert. f.
Kunstw. XIII 1). WICKHOFF, s. o. S. 99.
THODE Loronzetti (Rupert. f. Kunstw. XI
1). Vgl. Kunstchronik XV 179; XVI 12.
NORTON bei ZAHN Jahrb. f. Kunstw. V 66 (Dom
betr.). Domsmm- in Donmm Kunst u. Künstler
des Mittelalters u. d. Neuzeit II, 1, Nr. 42. 43.