Volltext: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit: Renaissance und Neuzeit (Bd. 2, Abth. 2, Hälfte 1)

Begriff, 
Natur 
constitutive 
Elemente 
Renaissance 
siasinus die llauptwurzel ihrer Thatigkcit suchte 1, erblickt er das Wesen der 
Renaissance in zwei Merkmalen: in dem unbefangenen Hinausgreifen in die 
reiche Erscheinungswelt, an deren Formenfülle sich das Auge des Künstlers 
sättigt, für deren wahre und lebendige Wiedergabe bis zur feinsten Einzelheit 
die Phantasie sich empfänglich erweist, und dann in dem sinnigen Einweben der 
persönlichen Stimmung und individuellen Empündungsweise in die Darstellung, 
so dass diese auch als unmittelbare Enthüllung der Künstlernatur gelten darf. 
.Das Naturstudium, von welchem die Itenaissancekünstler ausgehen, wird von 
der Antike, dieser andern, schönem Natur, fortgesetztf ,Die Antike unter- 
stützt vortrefflich und allseitig das Streben der Renaissaneekünstler, ihren 
Werken den Wiederschein ihrer persönlichen Empfindungen aufzudrückeir; 
aber bei alledem ist nicht Zerstörung der Tradition, sondern Umkleidung in 
neue F0rmen' Ziel der Renaissance 2. 
Sowol Gebhart als J anitschek gelangten zu gleicher Zeit (18,79) Wesen 
zu dem Ergebniss, dass das Auftreten der Renaissance durch den Sieg des dezulizgfls" 
Volgare eingeleitet worden und dass der Individualismus, als Ausgangspunkt 
der modernen Bildung, in Dantes ,Vita Nuova' geboren sei, so dass Danteis 
Genius, der Italien die geistige Einheit schenkte, der eigentliche Vater der 
Itenaissancebewegung und der Roman seines jungen Lebens zugleich das 
Praeludium der Vita Nnova der ganzen europäischen Menschheit darstellte 
Noch entschiedener hat jüngst Adolfo Venturi den Satz verfochten, dass 
die Renaissance Italiens nichts anderes als die Entfaltung des Volgare in der 
Kunst sei, wie das von Dante eingeleitete Werk die Entfaltung des Volgare 
in Sprache und Litteratur gewesen ist 4. Das Volgare ist die Schöpfung des 
italienischen Volksgeistes, wie sie sich mit evolutionistischer Consequenz und 
Nothwendigkeit aus der geschichtlichen Entwicklung und den Elementen, 
welche die Volksseele Italiens zusammensetzten, ergab. Diese Entwicklung 
konnte, wie es auch bei der Action der natürlichen Zuchtwahl vorzukonnnen 
pflegt, durch eine Tendenz der Rückkehr zu aviten Typen und durch aussere 
Einflüsse momentan gehindert werden. Auf die Dauer war ihr Durchbruch 
unaufhaltsam, und er ist nicht durch die Theorie der künstlichen Beeinflussungen 
zu erklären. Auch Venturis Ueberzeugung ist es, dass die gesammte Kunst 
des Quattrocento im allgemeinen von dem classischen Alterthum nur den 
äussern Rahmen entlehnte, in welchen es die freien Schöpfungen seiner Phan- 
tasie hineinsetzte, und dass die Herrschaft der Antike erst mit dem 16. Jahr- 
hundert eine Thatsache, zugleich aber damit eine Quelle der Decadenz wird 5. 
' Ebd. S. 218. 
2 Ebd. S. 240. 241-2421". Diese Auf- 
fassung begegnet sich stark mit der von 
A. BARTOLI (l. c. p. 27), freilich nicht ohne 
starke Einseitigkeit, entwickelten. BARTOLI 
sieht im Rinascimento 1. die Rückkehr zu 
dem Gedanken des Alterthums; 2. die Rück- 
kehr zu der classisch-juridischen (staats- 
rechtlichen) Auffassung Roms; 3. das Be- 
dürfniss einer iutellectilellen Erziehung. Vom 
Mittelalter hat Bartoli eine sehr geringe 
Wertlischäitzung: ,il medio evo non pensw  
die ganze mittelalterliche Litteratur ist ihm 
nur als ,d0cun1ent0 st0riu0' von Bedeutung 
(p. 19). Das Mittelalter hat nur transceu- 
dentale Interessen Qpreoccnpazinne dbltre 
tombzü p. 19) u. s. f. 
3 Vgl. namentlich JANITSCHEK Die Ge- 
sellschaft der Renaissance in Italien S. 6. 
GEBHART l. 0., besonders p. 227 s. 282 s. 
4 VENTURI La natura del Rinascimento 
(Nnova Antologia CXXlV [1892] 440  
5 Etwas anders sieht E. MÜNTZ (Hist. de 
Part pendant la Ren. I 43) die Sache an, wenn 
er sagt: "es hiesse die Freiheit des mensch- 
lichen Geistes und den eigenthümlicllen Cha- 
rakter der italienischen Civilisatiozr verkennen, 
wollte man behaupten, die Renaissance gehe 
nur von der Wiedererweckung des Alter- 
thums aus. Aber die Lehren des Alterthums 
l 1.1
	        
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