Drittes
Buch.
Die altehristliche Malerei. Stellung der Kirche zur Kunst. Ver-
hältniss der altehristlichen Kunst zur griechisch-römischen. Die
Entstehung der constitutiven Typen und die verschiedenen Systeme
der Interpretation der altehristliehen Bildwerke. Der Bilderkreis
vor und nach Gonstantin.
IN {K0 Perugino auf dem schönen Bilde der vaticanischen Pinakothek die
Himmelfahrt der Madonna malt, da zeigt er die Apostel am Grabe der
Seligen: das Grab ist offen und es spriesst aus ihm ein Flor herrlichster
Blumen.
Man könnte sagen, der grosse Künstler habe das Bild der Christenheit
am Tage ihrer Befreiung gemalt, an jenem Tage, wo sie nach dreihundert-
jährigem Leiden aus dem Dunkel der Katakomben emporstieg: den offenen
Gräbern der Todtenstadt entspross die duftende Blume der christlichen Kunst,
die letzte und lieblichste Offenbarung des dahinsterbenden Genius der Antike.
Aber ist das nicht ein Traum? Wie war das möglich? Hat man uns
"nicht bis vor dreissig Jahren in fast allen Handbüchern der Kirchen- und Kunst-
geschichte gelehrt, die Christen der ältesten Jahrhunderte seien ein kunst-
und culturfeindliches Geschlecht gewesen? Stand die älteste Kirche nicht,
wie man seit Luther und Calvin anzunehmen pflegte, dem Betrieb der Kunst
ablehnend gegenüber, und waren die alten Christen nicht erfüllt von einem
düstern Kunst- und Bilderhass, den erst das Einströmen heidnischer Gesin-
nung seit dem 4. Jahrhundert allmählich überwand?
Nun, diese Lehre vom Kunsthass der ersten Christen ist die erste und
schlimmste Fabel, welche die moderne Kritik aus der Geschichte der christ-
lichen Kunst zu entfernen hatte.
Es ist Wahr, das Christenthum ging zunächst aus dem Judenthum hervor,
welches der bildenden Kunst vollkommen abgekehrt war, wenigstens in der
palästinensischen Heimat und bei seinen strengsten Bekennern. Um die Juden
der Gefahr der sie von allen Seiten bedrohenden Idololatrie der benachbarten
Völker zu entziehen, hatte das Mosaische Gesetz ein allgemeines Verbot aller
Bildnisse und Gleichnisse ausgesprochen 1. Man ist gemeinhin der Ansicht,
dass damit zunächst jede Darstellung Jehovahs, auch die symbolische, unter-
Der angeb-
liche Bilder-
hass der
alten
Christen.
2 Mos.