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wachsen kann. Von da ab trägt der Benedictinerorden die ganze Cultur
Europas ein halbes Jahrtausend hindurch auf seinen Schultern. Von dieser
ungeheuren Last war die bildende Kunst der lieblichste und köstlichstc Theil.
Die Regel des hl. Benedict spricht schon in ihrem 57. Kapitel von Künst-
lern im Orden, denen sie das Gebot äusserster Bescheidenheit und Selbstlosig-
keit auferlegt 1. Die Stelle ist von der grössten Wichtigkeit, weil sie die
frühzeitige Beziehung des Ordens zur Kunstwelt bezeugt. Bald nach Benedict
sehen wir Cassiodor, den man fast den zweiten Begründer des Benedictiner-
ordens nennen könnte, ohne dass er ihm selbst angehörte, in den von ihm
angelegten calabrischen Klöstern Ateliers für das Copiren und Ausmalen der
Handschriften und für Maler einrichten. Von da ab beginnt die unüberseh-
bare Reihe von Kalligraphen, llluminatoren, Malern, Sculptoren und Archi-
tekten, welche der Orden stellte und deren Genie und Fleiss nicht bloss
dieser, sondern alle Kreise der Gesellschaft vom 7.-12. Jahrhundert den
grössten Theil ihres Kunstbesitzes dankte. Die grossen Centren benedictini-
sehen Lebens, in Italien Montecassino, im alamannischen Gebiete S. Gallen
und Reichenau, später Hirsau und Fulda, in Frankreich Cluny, in England
York, Canterbury u. s. f., wuchsen auf zu Mittelpunkten der Kunst. Aber
der Mönch arbeitete nicht bloss mit dem Kopf, auch seine Hand war im
Dienste der Kunst mit unermüdlicher Aufopferung thätig. Der Mönch schuf
den Plan eines Werkes, aber er führte ihn auch mit eigener Hand aus.
Psalmen singend besorgte er die mühsamsten und herbsten Arbeiten und
legte sein Werkzeug nur nieder, um zum Altar zu treten oder an dem Ofü-
cium des Ohores theilzunehmen. Die vornehmsten Personen des Ordens, selbst
die fürstlichen Aebte, scheuten sich nicht, Steine herbeizuschleppen und Blöcke
zu behauen. Als das Kloster zu Bec 1033 gebaut wurde, welches der Kirche
den Vater der Scholastik schenken sollte, trug der Gründer und Abt Herluin
Sand und Mörtel herbei wie der geringste Maurergeselle. Der reiche und
vornehme Canonicus von Lüttich Hezelo ward Mönch in Cluny, um bei der
von Hugo begründeten grossen Kirche der Abtei als Coementarizes als
Maurermeister zu arbeiten. Der Graf Friedrich von Verdun, welcher
Mönch in S-Vannes geworden war, grub um 1000 die Fundamente des neuen
Schlafhauses mit eigenen Händen aus 2. Dabei ist die Mannigfaltigkeit der
Talente und der Ausbildung bewundernswerth, welche vielen Künstlern
unter diesen Mönchen nachzurühmen war. Von Tutilo von S. Gallen meldet
Ekkehard, er sei als Maler, Bildhauer, Baumeister, dabei als Grammatiker,
Dichter und Lehrer ausgezeichnet gewesen. Der Abt Mannius von Evesham
in England wird ebenso als Maler, Musiker, Kalligraph und Goldschmied ge-
rühmt. Fulco, der Praecentor im S. Hubertuskloster in den Ardennen, war
Architekt und Miniaturmaler, und es wird ausdrücklich von ihm hervorgehoben,
1 Reg. S. Benedicti e. 57: ,Artiiices si
sunt in Monasterio, cum omni humilitate
faciant ipsas artes si tamen iusserit Abbas.
Quod si aliquis ex eis extollitur pro scientia
artis suae, eo quod videntur aliquid conferre
Monasterio, hic talis evellatur ab ipsa arte
et denuo per eam non transeat; nisi forte
humiliato ei iterum Abbas iubeatf Man
hat oft gefragt, weshalb rlas Mittehlter
uns so wenig Künstlernamen überliefert hat
und gerade die grossartigsten Schöpfungen
christlicher Kunst anonym sind: hier, in
dieser Bestimmung der Benedictinerregel,
liegt der Schlüssel zur Erklärung dieses Um-
standes.
2 Vgl. manche Belege für diese Details
in dem schönen Aufsatze C11. DE MONTALEM-
BERTS L'art et les meines (abgedruukt bei
DIDRON Anna]. archäol. t. Vl [l847l), nur-h
Oeuvres VI [1867] 340 ss.