Ansätze
Erste
Kunst bei
den nordischen
Eölkern.
Gebilde schien übergossen mit Golde und Gemmen standen I vier an dem
Fusse I und fünf droben am Achselgespann alle Engel sehen's I sie, die
schön erschaffenen. I Ein Schandpfahl war's nicht, dran die Blicke hingen der
heiligen Geister und der Erdenpilger!" Man sieht sofort, dass Kaedmon unter
dem Eindruck einer Crux gaizmnata sein Lied sang, die er irgendwo, ohne
Zweifel in der Abtei selbst, gesehen Da erblickt er, in seinem Traume
fortfahrcnd, ,greulichen Werkes Spur, die Wunden des Herrn am Kreuze und
die rinnenden Tropfen Blutes", und nun hört er, wie der Waldbaume bester
anhebt zu sprechen und seine Geschichte zu erzählen: wie er einst in Forstes
Gründen gefällt wurde, wie der Fürst der Menschheit ihn erstiegen und an
ihm, der Heldenjüngling (man beachte die ganz antike Reminiscenz), den Tod
erlitten. ,Unter ihm erbebt' ich. Mich bücken aber I und auf sie (die Henker)
stürzen stand mir nicht zu. Trug den König, den reichen in Kreuzes Gestalt
ohne mich zu regen den Regenten des Himmels 1' Das Kreuz erzählt dann des
Königs Tod, die Herabnahme des heiligen Leichnames, seine Einsenkung ins
Grab. Da sangen der Hilda Männer (das sind die treuen Kampfgenossen des
Todten) ihm Klagelieder ,zur Abendstunde. Vom Ehrenfürsten voll Kummers
heimkehrend. I Ach, Keiner blieb bei ihm? Weiter berichtet der Waldbaum,
wie er lange in einsamer Dunkelheit dagestanden und geweint habe, dann
mit den zwei anderen Kreuzen vergraben, aber endlich von den Degen des
Herrn wieder aufgefunden und hoch geehrt worden sei (Kreuzerhöhung), bis
er jetzt in Gold und Silber gefasst wurde: denn es hat zu allen Menschen
den Weg des Lebens geöffnet.
Von diesem Hochgesange nun, in welchem das germanische Gemüth sich
zum erstenmal in die Mysterien des gottmenschlichen Leidens versenkte, hat
sich ein Theil in einer 25 Zeilen füllenden Runeninschrift neben den lateini-
schen Inschriften auf dem Ruthwellkreuz gefunden. J. Mich. Kemble,
dann Dietrich und Stephens haben diesen Text entziffert, und die von
Stephens 1868 weiter gelesene Inschrift: ,Kadmon machte mich' (Cadmon mae
fanoeßo), lässt kaum einen Zweifel, dass Kaedmon, dessen Heimat ganz in
der Nähe lag, der Urheber dieses Gesanges war. ,Fande Jemand etwa an
den Küsten des Aegäischcn Meeres ein ähnliches Denkmal mit dem Namen
des Hesiodus und einem einzigen Vers dieses Dichters, welches Aufsehen
würde eine solche Entdeckung in der ganzen gelehrten Welt hervorbringen!
Das Ruthwellkreuz aber haben vielleicht die wenigsten Gelehrten auch nur
erwähnen hören. In der Kenntniss unseres eigenen Volksthumes, der Kennt-.
niss unserer Väter sind wir noch Kinder!"
Diese Klage des nordischen Forschers ist nur zu berechtigt, und sie darf
auch den Kunsthistorikern zugerufen werden, denn Keiner von ihnen hat ge-
sehen, dass sich hier in dem Ruthwellkreuz wie in kaum einem andern Falle
das Zusammeu- und Ineinanderwirken von Poesie und bildender Kunst (lar-
stellt. Das junge Volk der Angelsachsen hatte das Geheimniss des Kreuzes
in sich aufgenommen, seine Phantasie ward davon rasch befruchtet und so-
fort ergiesst sich ein breiter, gedoppelter Strom poetischen Schaffens: den
einen sehen wir in Kaedmons Dichtung, den andern in dem plastischen Werke
Dessen, der das Ruthwellkreuz auf die Höhen Northumbriens hingestellt hat.
Auch die mit lateinischen Inschriften versehenen Reliefs auf den Seiten-
flächen des Ruthwellkreuzes sind sehr beachtenswerth. Man sieht auf der
HAMMERICH