Neuntes
lienische Anleihen in Athos aufmerksam gemacht 1. Theophanos von Cypern
malte 1537 in der grossen Klosterkirche der Lawra den Kindermord nach
einem Kupferstiche Marc Antons. In Zographu befinden sich Wandmalereien
aus dem Jahre 1814, welche die Rubenssche Kreuzabnahme und Raffaels
Kreuztragung wiedergeben. Italienische Einflüsse bemerkte Bayet auch in
den 1795 von dem Maler Nicephorus, der Venedig besucht hatte, ausgeführten
Fresken in Iwiron. Auch sonst, ausserhalb des Athos, liegen Beispiele von
Einschleppung italienischer Einflüsse in den Kunstbetrieb der Griechen in den
letzten Jahrhunderten vor, wie das namentlich durch Lambros in Athen für
den 1662 im Peloponnes geborenen, später in Venedig gebildeten Maler Pan-
agiotis Doxaras nachgewiesen ist, dessen Hauptwerk die Ausmalung der
S. Spiridionskirche auf Korfu ist. In einer Schrift über die Malerei zeigt
sich dieser Grieche als glühender Verehrer der italienischen und selbst der
französischen Meister.
Ich bin überzeugt, dass namentlich unteritalienische Malereien, viel-
leicht die grossen Cyklen von S. Angele und Montecassino, das Material für
manche Abschnitte des Malerbuches geliefert haben.
Es erhellt daraus, wie unkritisch das Verfahren Derjenigen ist, welche
aus dem Auftreten gewisser Sujets in dem Malerbuch Schlüsse auf den by-
zantinischen Charakter oder Ursprung abendländischer Werke machen wollen.
Es ist Zeit, dass mit dieser Beweisführung aufgeräumt werde.
Folgt daraus, dass Dicnysius keinerlei ältere Vorlagen gehabt oder dass
diesem ,Malerbuch' nicht bereits in früheren Jahrhunderten ähnliche Versuche
einer ßodiiicirung" vorausgingen?
Ich glaube das nicht. Für die monumentale Malerei besitzen wir aus
der altern Zeit freilich keinen directen Beweis für das Gegentheil, obgleich
man in den Angaben einzelner Kirchenvater, wie des hl. Nilus, bereits dahin
zielende Anweisungen erblicken kann. Dagegen besitzen wir aber für die Aus-
malung eines Evangeliums bezw. einer Evangelienhandschrift des 9.-10. Jahr-
hunderts eine Zusammenstellung der in Betracht kommenden Sujets nebst
gelegentlichen kurzen Fingerzeigen über das Wie der Darstellung. Es sind
Evangelien- die Notizen, Welche die Evangelienhandschrift Nr. 48 zu S. Gallen
hinter dem Text des hl. Matthaeus eingeschoben hat 2. Der lateinische Ab-
schreiber hat sie einer griechischen Handschrift entlehnt und ins Lateinische
übersetzt. Am Kopfe jedes Evangeliums steht ein Bild des betreffenden
Evangelisten; aus Matthaeus sind 18, aus Lucas 10 (davon kommen aber
zwei thatsächlich auf Matthaeus oder Marcus), aus Johannes 15 Scenen ange-
geben; Marcus fehlt. Mit ihm würden sich etwas über 50 Bilder ergeben,
welche ungefähr den sonntäglichen Evangelien entsprechen und sich zum
grössern Theil nicht gänzlich z. B. mit den Darstellungen des im
10. Jahrhundert (um 980) geschriebenen Egbertcodex decken. Diese Auswahl
1 J. P. RICHTER Abendländisehe Malerei
und Plastik in den Ländern des Orients
(Zeitschrift für bildende Kunst XIII). BAYET
L'art byz. p. 266.
2 Sie finden sich facsimilirt in H. C. M.
RETTIG Antiquissimus quatuor evangeliorum
eanonicorum Codex Sangallensis graeco-lati-
nus (40, Turici 1836) p. 129. Das Verdienst,
wieder auf diesen seltenen Druck aufmerk-
sam gemacht zu haben, gebührt Hrn. SAMUEL
BERGER (De 1a tradition de Part grec dans
les manusor. latins des evangiles, Extr. des
Mem. de 1a S00. Nat. des Antiquaires de
France t. LII. Paris 1893). Ich muss in-
dessen die Schlussfolgerungen ablehnen, welche
Hr. Berger aus diesem Bilderverzeichniss für
eine Abhängigkeit der S. Gallen-Reichenauex-
Malerei von Byzanz ableitet.